Cuchillo de palo

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Das Messer aus Holz

Als Renate Costa das letzte Mal ihren Onkel Rodolfo sah, lag er tot am Boden in seiner Wohnung. Er war nackt, die Wohnung leer. Selbst seine Kleidung war nicht mehr da. Damals sagte man dem Mädchen ihr Onkel wäre an Traurigkeit verstorben. Ein Jahrzehnt später macht sich die junge Filmemacherin mit einer Kamera auf, um das Schicksal ihres Onkels zu ergründen – ein Schicksal, dass sie nie losgelassen hat. Rodolfo war ein „cuchillo de palo“, ein Messer aus Holz, so nennt man in Paraguay jemanden, der nutzlos ist. Ein anderer Name, der ihm während der Zeit der Diktatur gegeben wurde war 108. Diese Zahl steht für 108 Männer, die damals auf einer öffentlichen Liste der Homosexualität bezichtigt wurden. Auf einer weiteren Liste, die viel mehr Männer enthielt, stand auch Rodolfo. Dieses öffentliche Outing nahm ihm sein letztes bisschen Würde und Schutz in einer homophoben Gesellschaft, die noch dazu aus Angst vor einem wahnsinnigen Diktator alles verbannte, was nicht in ihr Weltbild passte. Dieser Ausschluss aus dem Leben ging so weit, dass Rodolfos Familie nicht einmal mehr wusste, womit er sein Geld verdient.
Costas Versuch der Aufarbeitung ihrer eigenen Familientragödie ist gleichzeitig ein Versuch die traumatischen Erlebnisse der Diktatur in Paraguay zu bearbeiten. Dabei zeigt sich vor allem, wie stark die Gesellschaft auch heute noch in Intoleranz, Schweigen und Passivität gefangen ist. Die meisten Menschen mit denen Costa versucht Erinnerungen an ihren Onkel zu teilen, versuchen diese zu vermeiden. Man will sich nicht erinnern, man will nicht davon sprechen. Es ist fast unerträglich wie Costas Vater versucht sich das Leben und den Tod des Bruders schön zu reden. Als Costa Papiere aus den Archiven mit nach Hause bringt, die eindeutig belegen, dass Roldolfo im Gefängnis saß, will der Vater ihr trotzdem nicht glauben. Gefängnis zu Zeiten der Stroessner Diktatur bedeutete immer Folter, Missbrauch, oft auch den Tod. All dies will die Familie nicht wissen, Costa redet und argumentiert mit Menschen, die die Vergangenheit nicht bewältigen und aufarbeiten wollen. Doch sie findet auch Zuhörer. Als sie sich in die kleine, noch immer im Verborgenen liegende Schwulenszene in Asunción begibt, findet sie Freunde und Liebhaber ihres Onkels, die sich trotz aller Angst und allem Schmerzes der Aufarbeitungsarbeit stellen.

Cuchillo de palo ist aber nicht nur ein Film über die Tragödie eines schwulen Mannes und einer traumatisierten Gesellschaft. Es ist vor allem ein Portrait über die fehlende Aufarbeitung der dunklen Vergangenheit, ein Zustand, der sehr an das Deutschland der 1950er und 1960er Jahre erinnert. Keiner hat’s gesehen, keiner hat’s gemerkt. Und genau wie damals in Deutschland beginnt eine neue Generation junger Leute heute in Paraguay unangenehme Fragen zu stellen. Vor allem für das deutsche Publikum erarbeitet sich hier ein Subtext, der nochmals ermahnt sich mit seiner Vergangenheit auseinanderzusetzen. Dass diese Entwicklung in Paraguay noch einen langen Weg gehen muss, zeigt sich an Costas Versuchen mit ihrem Vater Klartext zu reden. Am Ende kann sie nur aufgeben und für sich selbst die Wahrheit erkennen. Doch das hat Folgen. Wie sie selbst ganz lakonisch aus dem Off bemerkt – eine solche Geschichte unbearbeitet zu lassen, lässt irreparable Schäden zurück.

Cuchillo de palo

Als Renate Costa das letzte Mal ihren Onkel Rodolfo sah, lag er tot am Boden in seiner Wohnung. Er war nackt, die Wohnung leer. Selbst seine Kleidung war nicht mehr da. Damals sagte man dem Mädchen ihr Onkel wäre an Traurigkeit verstorben.
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