Cold Fish

Eine Filmkritik von Lida Bach

Eine Delikatesse

„Was für ein Mann ist Mr. Murata?“ Mr. Murata ist ein freundlicher Mann, für alle ein Lächeln und immerzu lacht er. Manchmal zu laut und manchmal zu viel. Nach Lachen ist dem in sich gekehrten Mr. Shamoto (Mitsuri Fukikoshi) selten zumute mit seinem kleinen Fischhandel und den familiären Sorgen. Mr. Murata ist ein Familienmensch. So ein harmonisches Paar, er und seine junge Frau Aiko. Trotz der sehr jungen Mädchen in sehr knappen Uniformen, die in ihrem Geschäft arbeiten. Ein Familienmensch ist auch Mr. Shamoto mit seiner jungen zweiten Frau Taeko (Megumi Kagurazaka) und der eifersüchtigen Teenager-Tochter Mitsuko (Hikari Kajiwara). Mr. Murata ist ein Geschäftsmann, dem ein erfolgreicher Zierfischhandel gehört. Auch Mr. Shamoto ist ein Geschäftsmann mit seinem kleinen Fischhandel. Mr. Murata ist ein verständnisvoller Mann. Als Mitsuko beim Ladendiebstahl erwischt wird, wird die Sache beigelegt und Mitsuko darf sich über eine Stelle in Mr. Muratas Unternehmen freuen. Auch Mr. Shamoto ist ein verständnisvoller Mann. Als er Mr. Murata und Aiko beim Zerlegen einer Leiche antrifft, kocht er ihnen Kaffee. Weil Mr. Murata ein großzügiger Mann ist, macht er Mr. Shamoto zu seinem Partner,nicht nur im Fischgeschäft. Und ein Nein lässt der gute Mr. Murata nicht gelten.
Cold Fish ist eine cineastische Delikatesse, die psychologischen Horror mit funkelndem Zynismus würzt. Exquisit, blutig und roh serviert sie Sion Sono gleich dem kulinarischen Pendant. Die höhnische Frage Mr. Muratas richtet der japanische Kult-Regisseur von Love Exposure und Strange Circus herausfordernd gegen das Publikum: Die Erde eine ebene blaue Kugel? „Kein Planet ist glatt und nett.“ In den Abgründen der Tiefseegräben existiert kein Lichtschimmer. Nur kalter Fisch. Titel und das Poster sind die ersten der giftigen Doppeldeutigkeiten, mit denen Sono sein mörderisches Menü zur hintersinnigen Gesellschaftssatire verfeinert. Der titelgebende „Cold Fish“ wird in Japan auf dem Teller und im Aquarium gleichermaßen geschätzt. Schmaus oder Augenschmaus – in welchem Becken man schwimmt entscheidet. Hinter ihrem friedfertigen Äußeren sind die in Asien Glück und Reichtum symbolisierenden Fische Räuber, welche die auf Sushi-Größe zerkleinerten Leichen vertilgen.

Methodisch knüpft Cold Fish die Nahrungskette zu einer Endlosschleife, deren übergreifendes Prinzip das von „dog eat dog“ ist. Die sprichwörtliche Wendung inspirierte den Titel von Sam Peckinpahs Straw Dogs, in dem äußere Dynamik einen scheinbar friedlichen Menschen zur Gewalt treibt. Sonos Filmplakat nimmt direkt auf das von Straw Dogs Bezug, dessen verstörende Brutalität das Ende von Cold Fish weit hinter sich lässt. Die Charaktere des psychologischen Horrorkabinetts widersetzen sich den konventionellen Schemata von Gut und Böse. Cold Fish kann einen kaltblütigen ebenso wie einen passiven Menschen beschreiben und verweist auf die unterschwellige Geistesverwandschaft von Shamoto und Murata. Zu Shamotos sexuell und emotional unterdrücktem Jekyll ist Murata der amoralische Hyde, der die heimlich gehegten Triebe des scheinbar gesetzten Familienvaters herauskitzelt. In seiner Ehe mit Taeko, die kaum älter ist als Mitsuko, kompensiert Shamoto sein inzestuöses Begehren für die eigene Tochter.

Seine furchterregende Macht über seine Mitmenschen gewinnt Mr. Murata durch seine psychologische Introspektive. Er erkennt Taekos masochistische Tendenzen, Mitsukos Aggressionen gegen ihren Vater und die Stiefmutter und Shamotos zwanghaftes Harmoniestreben und manipuliert sie zu seinen eigenen tödlichen Zwecken. Verderben sich Shamoto und seine Familie zu Beginn an einem Mikrowellengericht den Magen, verweist dies auf die verdeckte Fäulnis der familiären Strukturen. Ihr Ausbruch ist brutal und abstoßend, zugleich jedoch auf perverse Weise reinigend.

Makaber ist ein Euphemismus für die bitterbösen Metaphern und perfiden sarkastischen Allegorien der Horror-Groteske, welche die familiäre Gemeinschaft als Keimzelle von Gewalt und Perversion enthüllt. Dass Sonos morbides Figurendrama der anfangs zitierten „wahren Begebenheit“ beängstigend nah ist, ist die letzte der schwarzen Pointen des maliziösen Psychodramas. Die besten Geschichten schreibt eben doch das Leben — auch im Horrorfilm.

Cold Fish

„Was für ein Mann ist Mr. Murata?“ Mr. Murata ist ein freundlicher Mann, für alle ein Lächeln und immerzu lacht er. Manchmal zu laut und manchmal zu viel. Nach Lachen ist dem in sich gekehrten Mr. Shamoto (Mitsuri Fukikoshi) selten zumute mit seinem kleinen Fischhandel und den familiären Sorgen.
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