Cartel Land

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Aussichtslose Grenzkämpfe

Es ist Nacht, die Grillen zirpen. Scheinwerfer eines Autos nähern sich, leise ist das Klappern von Gefäßen auf einer Ladefläche zu hören. Der Wagen hält an, maskierte Männer laden Fässer und Kanister ab, dazu erklingt Gitarrenmusik. Eine Stimme aus dem Off erklärt, dass die Männer Meth-Köche seien, die besten in Michoacán. Sie produzierten die größte Menge in bester Qualität. Gelernt haben sie es von zwei Amerikanern, aber trotz ihres Stolzes auf ihre Arbeit machen sie sich keine Illusionen: „Klar wissen wir, dass wir mit den Drogen dort Schaden anrichten. Aber ich kann mich nur wiederholen: Wir sind arme Leute.“ Wären sie reicher, würden sie etwas anderes machen – durch die Welt reisen zum Beispiel. Aber unter den gegebenen Umständen machen sie, was sie machen müssen, solange sie es können.
Mit diesen betörenden Bildern von Crystal-Meth-Schwaden in der dunklen Nacht, die an rauchende Hexenkessel erinnern, beginnt Matthew Heinemanns Dokumentarfilm Cartel Land. Danach folgt die Kamera den Drogen, die verladen und in die USA geschmuggelt werden. Zugleich umreißt der Weg der Drogen das Land der Kartelle, es erstreckt sich von Mexiko bis in die USA hinein. Längst sind die blutigen Folgen der Machtkämpfe der Kartelle auch in den USA zu sehen und zu spüren, die Grenze zwischen diesen Ländern existiert nur noch physisch.

Tatsächlich, meint Ex-Junkie Tim „Nailer“ Foley, gäbe es nur noch eine imaginäre Grenze zwischen gut und böse. Er ist überzeugt, dass der Staat und die Regierung die Menschen im (US-amerikanischen) Grenzgebiet im Stich gelassen haben, deshalb müssen sich die ‚guten‘ Bürger gegen die Drogenkartelle wehren, die erst ihr eigenes Land ruiniert haben und nun die USA terrorisieren. Deshalb hat er in Arizona die Bürgerwehr Arizona Border Recon gegründet. Zwar weiß er, dass Mitglieder von Bürgerwehren in Verruf geraten sind, aber sein Land befände sich im Krieg – und er ist einer der Soldaten, der seine Pflicht erfüllt. Deshalb ist er im Tarnanzug zu sehen, wie er bewaffnet durch das Gelände streift. Unterstützt wird Nailers Einschätzung zudem auf der Tonebene durch Einspielungen von Nachrichtenmeldungen, die von Mordopfern und Drogenfunden entlang der Grenze sowie der Überforderung der Grenzschützer berichten.

Vom Staat verlassen fühlen sich auch die Menschen in Michoacán im Süden Mexikos. Das Tempelritter-Kartell mordet und wütet dort, von den tödlichen Folgen berichtet eine Frau, die bei einem Überfall auf eine Limonenranch zahllose Verwandte verloren hat. Doch unter der Führung des Arztes José „El Doctor“ Mireles formiert sich Gegenwehr, die Autodefensas wollen auf eigene Faust das Kartell vertreiben. Deshalb appelliert Mireles an die Bevölkerung, erinnert sie daran, dass sie Macht haben, sofern sie zusammenhalten. Auch hier unterstützt die Inszenierung seine Wahrnehmung, indem zuerst von den grausamen Morden des Kartells erzählt wird, während Bilder einer Beerdigung zu sehen sind; dann eröffnet der sanft und vernünftig wirkende Mireles eine mögliche Lösung in dieser aussichtslosen Situation.

Dieser Anfang ist von Matthew Heineman sehr klug entwickelt: Mit den Meth-Köchen schafft er einen Rahmen, der die Gegenwart kurz umreißt – in Mexiko werden die Drogen hergestellt, dann in die USA geschmuggelt und dort mit großen Profit verkauft – und dann nutzt er diese bekannten Wahrnehmungsmuster, um sich auf die Folgen zu konzentrieren: nicht für die Süchtigen oder Händler, sondern für die Bewohner in den betroffenen Regionen. Immer wieder vertraut Heinemann auf bekannte Topoi im war on drugs, die den Hintergrund zu seinem Film liefern: Die Korruption und das Versagen des mexikanischen Staates ist hinlänglich akzeptiert, deshalb erscheint Mireles tatsächlich als Ausweg in dem Kampf gegen die Kartelle. Mit ihm hat Heinemann einen charismatischen Anführer gefunden, dessen Aufstieg und Fall schon tragische Züge hat. Er ist der Hoffnungsträger, der Familienmensch, der dann plötzlich im Dunkeln befiehlt, einen festgehaltenen Mann erst gründlich ‚zu befragen‘ (was foltern entspricht) und ihn dann verschwinden zu lassen (ihn zu töten). Damit verändert sich das Bild Autodefensas und von Mireles. Denn letztlich sind weder sie noch die Arizona Border Recon dagegen gefeit, dass sich ihnen Menschen aus anderen Beweggründen anschließen: In den USA sind es Rassisten, in Mexiko Profiteure des Machtvakuums. Und dadurch erzählt Cartel Land von korrumpiertem Idealismus.

Narrativ und visuell greift Heinemann auf bekannte Inszenierungen zurück: Zum einen lassen seine Bilder, deren Belichtungen und Einstellungen oftmals erkennen, dass er bei Schusswechseln und anderen gefährlichen Situationen vor Ort war. Sie sind von Authentizität durchdrungen und lehnen sich an die investigativ-journalistische Dokumentarfilmtradition an. Zum anderen sind die Bilder der Methschwaden, der Grenzübergänge, der „Befragungen“ der Bürgerwehren an den Thriller angelehnt, in dem der war on drugs lediglich den Hintergrund für actionreiche Unterhaltung bietet. Indem Heineman diese Stile in seiner Erzählung und Bildsprache verbindet, schafft er einen außergewöhnlichen Dokumentarfilm, der spannende Einblicke in den war on drugs liefert.

Es ist nun Zufall, dass Cartel Land hierzulande fast gleichzeitig mit Sicario in die Kinos kommt, aber beide Filme deuten an, dass auch in der filmischen Auseinandersetzung mit dem Krieg gegen die Drogen eine neue Phase begonnen an: Der war on drugs kann nicht mehr gewonnen werden – fraglich ist jedoch, wie die Zukunft dann aussieht.

Cartel Land

Es ist Nacht, die Grillen zirpen. Scheinwerfer eines Autos nähern sich, leise ist das Klappern von Gefäßen auf einer Ladefläche zu hören. Der Wagen hält an, maskierte Männer laden Fässer und Kanister ab, dazu erklingt Gitarrenmusik. Eine Stimme aus dem Off erklärt, dass die Männer Meth-Köche seien, die besten in Michoacán. Sie produzierten die größte Menge in bester Qualität.
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