Caramel

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein sinnliches Filmvergnügen

Für einen Großteil der Kinobesucher ist der Libanon filmisch gesehen heute weitgehendes Niemandsland. Das Land, das immer noch unter den Folgen des verheerenden 15 Jahre dauernden Bürgerkrieges leidet und das seitdem politisch nicht zur Ruhe gekommen ist, hat große Schwierigkeiten, zwischen den mächtigen Nachbarn wie Syrien und Israel zu bestehen. Immer wieder sieht sich das Land im Fokus israelischer Militäroperationen, und es ist ein Wunder, dass überhaupt so etwas wie eine weitgehend funktionierende Infrastruktur aufgebaut werden konnte. Umso erstaunlicher ist es, dass sich unter diesen Umständen überhaupt ein eigenständiges Kino entwickeln konnte, das immer wieder durch außergewöhnliche Produktionen zumindest auf den Festivals rund um den Globus für Aufmerksamkeit sorgt. Regisseure wie Ziad Doueiri oder Filmemacherinnen wie Jocelyne Saab (Dunia) und Myrna Maakaron genießen bei Kennern der internationalen Filmszene einen guten Ruf, und wenn man sich die libanesischen Produktionen der letzten Jahre anschaut, gibt es noch viel zu entdecken.
Eine dieser Entdeckungen, die das Potenzial hat, das libanesische Kino einem größeren Publikum nahe zu bringen, ist ohne Frage Nadine Labakis Film Caramel / Sukkar Banat. Labaki, die bislang vor allem als Schauspielerin, Moderatorin und Regisseurin für Musikvideos bekannt war, schildert in ihrem Kinodebüt das Leben von fünf unterschiedlichen Frauen in Beirut in Geschichten, die immer wieder den Schönheitssalon „Si belle“ zum Ausgangspunkt haben. Dessen Besitzerin Layale (Nadine Labaki) beispielsweise befindet sich in einer ausweglosen Affäre mit einem verheirateten Mann. Bezeichnenderweise ist dieser niemals ganz zu sehen, er bleibt – im Film wie auch in Layales Leben – ein Schattenmann. Dabei übersieht die schöne junge Frau vollkommen, dass sich in ihrer unmittelbaren Umgebung ein Verehrer befindet, der bereit ist, alles für sie zu tun. Auch Nisrine (Yasmine Al Masri), Layales muslimische Kollegin, befindet sich in einer veritablen Zwickmühle: Zwar hat sie den Mann fürs Leben längst gefunden, doch wie soll sie ihm beibringen, dass sie keine Jungfrau mehr ist? Die Friseurin Rima (Joanna Moukarzel) hat ein anderes Problem, sie fühlt sich eher zu Frauen hingezogen und rührt damit an einem Tabu innerhalb der arabischen Welt – selbst wenn der Libanon als vergleichsweise fortschrittliches Land gilt, das seit jeher verschiedenste Kulturen, Religionen und Weltanschauungen zusammenbrachte. Die Schauspielerin Jamale (Gisèle Aouad) fürchtet das Älterwerden, schließlich ist ihr Gesicht ihr Kapital. Und hat nicht ihr Mann sie wegen einer Jüngeren verlassen? Und zuletzt ist da noch die Schneiderin Rose (Siham Haddad), die ihr Leben der Pflege ihrer kranken Schwester gewidmet hat. Doch als der charmante Charles (Dimitri Stancofski) in ihr Leben tritt, erlebt sie eine späte Liebe, an die sie eigentlich längst nicht mehr geglaubt hat.

Im Grunde sind die Probleme der fünf Frauen in Beirut nicht so verschieden von denen vieler Frauen hierzulande: Es geht um die Diktatur der Schönheit, um das Älterwerden, um unerfüllte Träume und natürlich um die große Liebe. Trotz aller kulturellen und gesellschaftlichen Unterschiede zwischen dem Libanon und der westlichen Welt hat man oft genug den Eindruck, die Differenzen seien niemals so fundamental, wie man vermuten möchte, sondern allenfalls graduell.

Auch wenn Nadine Labaki jeden explizit politischen Kommentar vermeidet – ihr Film zeichnet ein klares und zugleich charmant-unterhaltsames Bild der libanesischen Gesellschaft aus weiblicher Perspektive nach. Wobei man manchmal beinahe den Eindruck haben könnte, als habe Nadine Labaki versucht, alle nur erdenklichen Lebenssituationen libanesischer Frauen in ihrem Werk unterzubringen, das so quasi zu einer soziologischen Studie über das Frausein im Libanon wird. Christinnen und Musliminnen, junge und alte Frauen, verheiratet oder ledig, hetero- oder homosexuell – es gibt kaum eine Schattierung, die die Regisseurin ausgelassen hat.

Doch dieser flüchtige Eindruck wird gemildert durch hinreißende Dialoge, eine elegante Kameraführung und eine Montage, die Labakis Herkunft aus dem Musikvideo verrät. Weiterhin fällt auf, mit welcher Raffinesse sich der Film den Mitteln der Lichtgestaltung bedient: Weiche und warme Braun- und Rottöne sowie ein goldener Schimmer strahlt aus beinahe jeder Einstellung und vermittelt eine Atmosphäre, die sofort in ihren Bann zieht. Immer wieder findet die Regisseurin Szenen von großer Sinnlichkeit und Lebensfreude, beredte Tableaus, die keines Dialogs bedürfen und die doch mehr sagen als viele Worte. So wird aus einer schlichten Haarwäsche ein erotischer Akt, aus einem Blickwechsel eine Liebesszene, aus dem Blick in ein Gesicht ein ganzes Drama. All dies erstaunt umso mehr, wenn man bedenkt, dass die Regisseurin ausschließlich auf Laiendarstellerinnen setzte.

Caramel / Sukkar Banat ist kein Frauenfilm im üblichen Sinne, sondern eine wundervolle, erotische Ode an die Frauen des Libanon, an ihren Mut, ihren Pragmatismus, ihre Träume und all die kleinen Hindernisse, die diesen Träumen im Wege stehen.

Caramel

Für einen Großteil der Kinobesucher ist der Libanon filmisch gesehen heute weitgehendes Niemandsland. Das Land, das immer noch unter den Folgen des verheerenden 15 Jahre dauernden Bürgerkrieges leidet und das seitdem politisch nicht zur Ruhe gekommen ist, hat große Schwierigkeiten, zwischen den mächtigen Nachbarn wie Syrien und Israel zu bestehen.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

karinsche · 13.09.2011

Schöner Film, es macht Spass zu sehen, dass es überall auf der Welt sehr ähnlich zugeht. Gut umgesetzt, da so gespielt wird, wie das Leben stattfindet, eben ohne irre Action an allen Ecken und nicht immer mit vorhersehbarem Happy End. Ein Glück.

Bellydance · 16.04.2008

Ein schöner Frauenfilm mit Gefühl,Tiefgang und Humor.
Synchronisierung nicht so gut.
Zu empfehlen !

crazyhorse · 09.04.2008

vorhersehbar und langweilend. Die deutsche Synchronisation zerstört das Restinteresse (deutsch singende Libanesinnen!).

Amal · 07.04.2008

Ein Film der alles saget mit wenigen wortern .

Johannes Hüsing · 30.03.2008

Grandioser Film, berührend und mit starken Bildern einfühlsam erzählt. Der Film erzeugt durchgehend eine sehr schöne Stimmung. Ein muss für jeden der gute Filme mag.