Captive (2015)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

In der Gewalt eines Mörders

Ashley Smith verbringt im März 2005 eine Nacht in ihrer Wohnung als Geisel des Mörders Brian Nichols. Die junge Mutter liest ihm Passagen aus einem religiösen Lebenshilfe-Buch vor, das ihr selbst am Vortag aufgedrängt wurde, weil sie drogenabhängig ist. Später schreibt sie einen Bestseller über diese Stunden, auf dem das Crime-Drama Captive des 80-jährigen Regisseurs Jerry Jameson (Der letzte Flug zurück, TV-Serie Mord ist ihr Hobby) basiert. Im Zentrum des Films steht dabei das Kammerspiel der beiden Hauptdarsteller Kate Mara und David Oyelowo. Aber bevor es beginnt, hat der Zuschauer bereits gesehen, wie der Untersuchungshäftling Brian Nichols am Vortag im Gerichtsgebäude von Atlanta eine Frau mit Schlägen ins Koma versetzt und anschließend vier Menschen umgebracht hat.
Die Geschichte wechselt zunächst zwischen drei Handlungssträngen. Einer gilt dem flüchtenden Verbrecher, der bewaffnet und mit geklauten Autos ziellos durch die Gegend fährt und nach einem Unterschlupf Ausschau hält. Der zweite gehört dem Polizeiteam unter der Leitung von Detective John Chestnut (Michael K. Williams). Ihm gelingt es, Nichols über ein gestohlenes Polizeifunkgerät zu kontaktieren und dabei das Gebiet, in dem er sich befindet, näher einzukreisen. Ein dritter Erzählstrang folgt Ashley Smith. Weil sie abhängig von Crystal Meth ist, wurde ihr die geliebte kleine Tochter vorläufig weggenommen. Es erscheint fraglich, ob Ashley es schaffen wird, von der Droge loszukommen: Noch während sie die neue Wohnung einrichtet, in der sie mit der Tochter leben will, gönnt sie sich wieder eine Dosis. Dann geht sie mitten in der Nacht zum Auto und trifft auf Brian Nichols, der sie zwingt, ihn in die Wohnung einzulassen.

Was dann passiert, steht in eklatantem Kontrast zu den Erwartungen. Nichols war einer Vergewaltigung beschuldigt und hat gerade mehrere Menschen getötet, aber Ashley gegenüber verhält sich der Mann geradezu zivilisiert. Und sie liest ihm Texte über das gottgefällige Leben vor und über die Notwendigkeit, Ziele zu haben. Nichols redet ein wenig von seinem neugeborenen Sohn, sie von ihrer Tochter, ihrer Abhängigkeit. Die Dialoge sind spärlich, es entwickelt sich kein richtiges Gespräch und die Lage bleibt äußerst angespannt. Denn auch wenn die beiden eine gemeinsame Ebene zu finden scheinen und sich ein Stück weit menschlich annähern, so wissen sie doch, dass ihnen die Realität nicht viel Spielraum lässt. Nichols wirkt auf Ashley unberechenbar wie ein Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann. Dennoch ermöglicht die schwebende Situation beiden ein Innehalten und einen Perspektivwechsel. Kate Mara und David Oyelowo spielen ihre Charaktere verhalten und lassen erkennen, dass sie sich in einem inneren Dialog befinden. Besonders Brian Nichols, der sich in eine tragische Figur verwandelt, behält in diesem Prozess viele Geheimnisse. Die ungewöhnlich ambivalente Zeichnung beider Charaktere, die sich als einsame, verirrte Seelen gegenseitig ein wenig Halt geben, lässt den Film spannend und unvorhersehbar wirken.

Im Abspann wird die rätselhafte Aura des Films auf recht enttäuschende Weise gelüftet: Die echte Ashley Smith ist in Oprah Winfreys Talkshow zu sehen, wo sie als Heldin gefeiert wird und viel oberflächlicher als die Filmfigur wirkt. Wie viel Wahrheit in der von ihr erzählten Geschichte steckt, weiß letztlich außer ihr nur Nichols. Es wäre jedenfalls, wie es der Abspann nahelegt, ein Leichtes gewesen, den ganzen Film als plattes Bekehrungsdrama zu inszenieren, das um das von Ashley Smith so geschätzte religiöse Ratgeberbuch kreist. Jameson aber meistert diese Gefahr über weite Strecken und interpretiert das Geschehen mit großzügiger Diskretion.

Captive (2015)

Ashley Smith verbringt im März 2005 eine Nacht in ihrer Wohnung als Geisel des Mörders Brian Nichols. Die junge Mutter liest ihm Passagen aus einem religiösen Lebenshilfe-Buch vor, das ihr selbst am Vortag aufgedrängt wurde, weil sie drogenabhängig ist. Später schreibt sie einen Bestseller über diese Stunden, auf dem das Crime-Drama „Captive“ des 80-jährigen Regisseurs Jerry Jameson („Der letzte Flug zurück“, TV-Serie „Mord ist ihr Hobby“) basiert.
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