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Bei der Berlinale 2017, auf der Call Me By Your Name zu sehen war, herrschte eine Einmütigkeit, wie man sie nur selten kennt: Call Me By Your Name ist definitiv einer der schönsten Liebesfilme der letzten Jahre und versteht es, am Ende sein Publikum zu Tränen zu rühren. 

Call Me By Your Name (2017)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Von Herzen kommend, zu Herzen gehend

Es gibt eine Szene am Ende von Call Me By Your Name, die niemanden kalt lassen wird. Es ist ein Gespräch zwischen Vater und Sohn oder eher: es ist vielleicht der beste Austausch zwischen einem Vater und einem Sohn, der jemals auf der Kinoleinwand zu sehen war – und dabei sagt der Vater etwas, was sich viele Teenager und Heranwachsende von ihren Eltern gewünscht hätten.

Diese ungemein berührende Szene wäre aber nichts ohne das zuvor Gesehene und Geschehene. Vielmehr ist sie ein bewegender Abschluss für eine der schönsten Liebesgeschichten des (queeren) Kinos: Basierend auf dem gleichnamigen Roman von André Aciman (deutscher Titel: Ruf mich bei deinem Namen) erzählt Call Me By Your Name die Geschichte des 17-jährigen Elio Perlman (Timothée Chalamet), der seinen Sommer im Jahr 1983 in Norditalien in der Villa seiner Eltern verbringt. Es ist ein großzügiges Haus aus dem 17. Jahrhundert, sein Vater (Michael Stuhlbarg) ist Professor für Archäologie, seine Mutter übersetzt mühelos ein deutschsprachiges Gedicht ins Italienische. Es ist ein Intellektuellenhaushalt, in dem viel diskutiert wird. Auch Elio liest viel und transkribiert klassische Musik. Wie jedes Jahr kommt im Sommer ein Doktorand zu Besuch, der Elios Vater bei seiner Arbeit helfen soll. In diesem Jahr ist es der 24-jähriger Oliver (Armie Hammer), der mit seinem Aussehen und Charme hervorragend ankommt – und gleich zu Beginn seine Belesenheit und Intelligenz beweist, indem er die etymologische Herkunft des Wortes „Pfirsich“ korrekt erzählt. Nur Elio ist anfangs skeptisch, sucht aber dennoch immer wieder Olivers Nähe.

In genau dem richtigen Tempo entwickelt sich in Luca Guadagninos Film nach einem Drehbuch von Guadagnino, James Ivory und Walter Fasano nun zwischen Schwimmen, Lesen und Diskussionen eine wunderbare Liebesgeschichte, die ehrlich widerstreitende Gefühle und Unsicherheiten nachvollziehen lässt. Denn am Ende dieses Sommers muss sich Elio fragen, wie er sein Leben leben und mit dem Geschehen umgehen will. Dabei gibt es in diesem Film so viele Aufrichtigkeiten und Wahrheiten über Gefühle und Beziehungen, so viel wahr Empfundenes, Nuanciertes und Realistisches, dass es schwierig ist, die Entwicklung der Beziehung zwischen Oliver und Elio genau zu beschreiben. Anfangs ist Elio zurückhaltend, wird dann aber fordernder. Er scheint sich klarer über seine Gefühle für Oliver zu sein, wagt als erster eine Art Annäherung. Zugleich aber stellt er sicher, dass ihn andere und insbesondere ein älteres homosexuelles Paar, das seine Eltern besucht, mit seiner französischen Freundin Marzia (Esther Garel) sehen. Immer wieder beschleichen ihn Unsicherheiten, bisweilen Scham über seine Sexualität – sei es nach einer Nacht mit Oliver oder einem Intermezzo mit einem Pfirsich (das zweifellos ebenfalls in die Geschichte des Kinos eingehen wird). Oliver wirkt zu Beginn selbstbewusster; dass er die Hand auf Elios Schulter legt, den Nacken kurz massiert, könnten Annäherungsversuche sein, doch Elio reagert unwirsch, daher spielt Oliver alles herunter. Auch nachdem Elio angedeutet hat, was er empfindet, ist Oliver der Zögerliche, er weist darauf hin, dass noch nichts passiert sei, wessen sie sich schämen müssten.

Es sind diese Widersprüche, es ist dieses Zögern, dass Call Me By Your Name zu der Aufrichtigkeit verhilft, die den Film insbesondere auszeichnet. Außerdem nimmt sich der Film die Zeit, Szenen auszuerzählen: Wenn Elio und Oliver eine Fahrradtour unternehmen und an einer Stelle nach Wasser fragen, wird gezeigt, wie sie warten und es bekommen. Wenn Oliver Elio bittet, vor einem Laden auf ihn zu warten, ist auch das zu sehen. Immer wird gegessen, immer wieder kommen Freunde und Bekannte zu Besuch.

Hinzu kommt überdies eine ausgeprägte Sinnlichkeit in der Inszenierung: Immer wieder schwenkt die Kamera von Sayombhu Mukdeeprom an den zunehmend reifen Früchten an den Bäumen, die verarbeitet und gegessen werden. Mit den Augen von Elio und anderen streift sie über den Körper von Armie Hammer, der sicherlich älter als 24 Jahre wirkt, aber als Sehnsuchtsperson überzeugt. Zusammen mit der detailgetreuen Ausstattung schafft es dieser Film, dass man sich in diese Liebesgeschichte zwischen zwei Männern mühelos hineinfühlen kann – und äußerst schmerzhaft nachempfindet, was es bedeutet, wenn man seine große Liebe nicht leben kann.
 

Call Me By Your Name (2017)

Es gibt eine Szene am Ende von Call Me By Your Name, die niemanden kalt lassen wird. Es ist ein Gespräch zwischen Vater und Sohn oder eher: es ist vielleicht der beste Austausch zwischen einem Vater und einem Sohn, der jemals auf der Kinoleinwand zu sehen war – und dabei sagt der Vater etwas, was sich viele Teenager und Heranwachsende von ihren Eltern gewünscht hätten.

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Meinungen

wignanek-hp · 29.05.2018

Der Film ist etwas Besonderes. Nicht nur die Geschichte selbst ist besonders, sondern auch die Art, wie sie erzählt wird. Die Atmosphäre des Sommers, die Stimmung der Orte, die Musik, all das verschmilzt zu einem einmaligen Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Und Timothée Chalamet ist eine Entdeckung. Am besten ist es, den Film im Original anzuschauen. Dann entfaltet er seinen Reiz erst vollständig.

Ralf Pauli · 20.03.2018

Die große Liebe, die wahre Liebe, das völlige verschmelzen zweier Menschen. Etwas, was den wenigsten im Leben zuteil wird. Dieser Film ist viel mehr als nur ein LGBT-Film oder ein coming-of-Age-Film. Er zeigt uns, wenn du diesen Menschen gefunden hast, solltest du alle
Hürden überwinden, um mit ihm zusammen zu leben. So etwas wird dir vielleicht nie wieder
passieren und du wirst für den Rest deines Lebens diesem Menschen hinterhertrauern. Für mich ein Meisterwerk und einer der schönsten Filme aller Zeiten. Allerhöchste Bewertung!!!