Cahier Africain

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Frauen in der Zentralafrikanischen Republik

Ein Schulheft – das titelgebende Cahier Africain – stand am Anfang von Heidi Specognas Film. In diesem Heft haben 300 Frauen, Mädchen und Männer aus Zentralafrika festgehalten, was Rebellen aus dem Kongo zwischen Oktober 2002 und März 2003 ihnen im Zuge des bewaffneten Konflikts angetan haben. Es sind Zeugenaussagen von Vergewaltigungen und anderen Gewalterfahrungen, die die Betroffenen auf eigene Initiative festgehalten haben.
Sie wollten dokumentieren, was geschehen ist. Insbesondere zwei Frauen, die in diesem Heft zu finden sind, folgt der Film nun in drei Kapiteln von 2008 bis 2015: Die junge Muslima Amzine wurde damals vergewaltigt und schwanger. Ihre Tochter Fane ist am Anfang des Films vier, am Ende zwölf Jahre alt. Die Christin Arlette wurde zudem von einer Kugel im Knie getroffen, die dort feststeckte, furchtbar schmerzte und erst Jahre später in Berlin im Rahmen einer Operation entfernt wurde. Zu Beginn des Films leben sie in dem Stadtviertel PK12 von Bangui und versuchen, die Erlebnisse zu verarbeiten und mithilfe einer Anwältin Gerechtigkeit zu erfahren. Der International Strafgerichtshof in Den Haag hat wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen Prozess gegen Jean-Pierre Bemba eingeleitet, der Kommandeur der Bewegung für die Befreiung Kongos (MLC) gewesen und damit verantwortlich für die Truppen war, die die Vergewaltigungen und Morde in der Zentralafrikanischen Republik begangen haben. Das Schulheft wird als Beweismittel gewertet und nach Den Haag gebracht, für die Opfer aber wird sich die Situation nicht verbessern – im Gegenteil, der nächste gewalttätige Konflikt zeichnet sich ab: Die muslimische Rebellenallianz Seleka, in der sich Rebellengruppen aus dem Norden des Landes zusammengeschlossen haben, wirft Präsident François Bozizé vor, das Friedensabkommen von 2007 ignoriert zu haben, sie verbrennen Dörfer, vergewaltigen und morden – sowohl Angehörige der christlichen Mehrheit als auch der muslimischen Minderheit. Sie sind auf dem Weg in die Hauptstadt – und die Bewohner von PK12 müssen fliehen. Seleka wird die Regierung stürzen (2013), aber mit Anti-Balaka formiert sich eine Gegenbewegung, die gegen die Seleka ankämpft – und dabei brutal gegen die muslimische Bevölkerung vorgeht. Und die Frauen, von denen Heidi Specogna erzählen will, müssen abermals fliehen, um ihr Leben zu retten.

In den vorigen Jahren sind über 100.000 Frauen während der bewaffneten Konflikte in der Zentralafrikanischen Republik vergewaltigt worden, aber die Welt hat – wie lange Zeit auch in Ruanda – weggesehen. Als Heidi Specogna anfing, diesen Film zu drehen, wollte sie von den Versuchen der Frauen erzählen, wieder auf die Beine zu kommen und einen Weg zu leben zu finden. Doch die Realität der nachfolgenden gewalttätigen Konflikte brach über den Film herein und ließ Cahier Africain zu einer Dokumentation über das Leben in einem Land werden, das trotz Rohstoffreichtum keinen Frieden findet und wiederholt von regelrechten ethnischen Säuberungen heimgesucht wird. Dabei bemerkt man, dass der Film ursprünglich einen persönlichen Weg einschlagen wollte, dadurch kommen die politischen Hintergründe ein wenig zu kurz. Gerade weil die Weltöffentlichkeit der Zentralafrikanischen Republik zu wenig Beachtung schenkt, hätte der Film die Gelegenheit ergreifen können, mehr von diesen Konflikten zu erzählen. Sie klingen beständig an – die wiederkehrende Korruption von Politikern, die einen Aufschwung verhindern; die religiösen Konflikte; ein Fahrer erzählt, dass Rebellen drei strategische Punkte einnehmen müssten: den Präsidentenpalast, die Radiostation und den Flughafen; auch Soldaten der UN-Mission kommen zu Wort –, aber der persönliche Blickwinkel des Films entfaltet vermutlich vor allem seine Wirkung, wenn man vor dem Film bereits über Hintergrundwissen verfügt.

Abgesehen davon aber ist Cahier Africain ein berührender Film, der in seinen eindrücklichsten Sequenzen den Schmerz der Frauen zum Ausdruck bringt, der nicht allein aufgrund der Geschehnisse in der Vergangenheit entstanden ist, sondern durch die sich immer weiterdrehende Spirale der Gewalt kein Ende nimmt. Ob Muslima oder Christin – sie leben in ständiger Furcht, so dass Arlettes zunehmende Resignation schmerzhaft verständlich ist. Sie war das jüngste Opfer in dem Schulheft, sie hat nie ein Leben in Frieden gehabt. Dagegen wird Amzine im Verlauf des Films zusehends härter, sie tut, was sie tun muss. Ihre Tochter Fane sei ihr eine große Hilfe, sagt sie. Aber jedes Mal, wenn sie sie anblickt, wird sie an die Ereignisse von damals erinnert. Fane fragt nach ihrem Vater, sie scheint zu spüren, dass ihre Mutter ihr gegenüber anders ist als gegenüber ihren Brüdern, wenngleich sie es noch nicht auszudrücken vermag. Die Szene, in der sie erzählt, wie sie von ihrer Mutter bei einer Flucht zurückgelassen wurde, vergisst man nicht allzu schnell. Ohnehin finden sich in dem Film immer wieder visuell sehr starke Einstellungen, die auf das Leben und Leiden dieser Frauen verweisen – und damit sehr eindringlich an die menschlichen Katastrophen gemahnen, die mit jedem gewalttätigen Konflikt einhergehen.

Der Prozess gegen Jean-Pierre Bemba ging erst nach Fertigstellung des Films am 21. Juni 2016 zu Ende. Er wurde für schuldig befunden und zu 18 Jahren Haft verurteilt.

Cahier Africain

Ein Schulheft – das titelgebende „Cahier Africain“ – stand am Anfang von Heidi Specognas Film. In diesem Heft haben 300 Frauen, Mädchen und Männer aus Zentralafrika festgehalten, was Rebellen aus dem Kongo zwischen Oktober 2002 und März 2003 ihnen im Zuge des bewaffneten Konflikts angetan haben. Es sind Zeugenaussagen von Vergewaltigungen und anderen Gewalterfahrungen, die die Betroffenen auf eigene Initiative festgehalten haben.
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