Broken Flowers - Cannes 2005

Die Last mit dem Leben

Mit Jim Jarmusch stellt ein weiterer hochgerühmter Autorenfilmer seinen neuesten Film in Cannes vor. Bereits zum fünften Mal ist Jarmusch mit seinem aktuellen Werk Broken Flowers nach Down by Law (1986), Mystery Train (1989), Dead Man (1995), und Ghost Dog: The Way of the Samurai (1999) an der Croisette vertreten. Und gleichzeitig markiert der Film auch die erneute Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und Schauspieler Bill Murray, der bereits in Coffee and Cigarettes ein kurzes Gastspiel gab.

Bill Murray spielt Don, einen Junggesellen, der von allen Don Juan genannt wird. Allerdings ist nicht ganz klar, wieso der gute Don ein Latin Lover sein soll, verbringt er doch die meiste Zeit auf dem Sofa vor der Glotze. Das ändert sich jedoch, als er eines Tages einen Brief einer anonymen Verflossenen bekommt, in dem ihm mitgeteilt wird, dass er einen 19-jährigen Sohn hat. Don ist eigentlich nicht besonders erpicht darauf, seinen Filius kennen zu lernen, doch angestachelt von seinem Nachbarn stellt er eine Liste seiner möglichen ehemaligen Liebschaften auf, die als Mutter in Frage kämen. Nun gilt es nur noch, die Damen mit Hilfe des Internets ausfindig zu machen. Und so begibt sich Don dann auf eine Reise durch seine eigene Vergangenheit.

Doch wer ist nun die Mutter des angeblichen Sohnes? Nacheinanders klappert Don seine ehemaligen Gespielinnen ab. Und was für Frauen Don vor 20 Jahren kannte! Gespielt werden sie von Sharon Stone, Frances Conroy, Jessica Lange und Tilda Swinton. Dabei gibt Bill Murray keineswegs den alternden Casanova sondern inszeniert sich wie bereits in Lost in Translation vor allem selbst. Stets blickt er ein wenig schafsäugig und überrascht auf seine Umwelt, und ist, verstärkt durch Jarmuschs sowieso sparsam dosierten Einsatz von Dialogen, ganz der lakonsicher Schweiger, der meist wenig, und wenn, dann stets das Falsche zu sagen pflegt. Aber es macht Spaß ihm zuzusehen, wie er auf Laura (Sharon Stone) trifft, die ihre alte Liebe mit ihm gerne sofort wieder auffrischen möchte, zunächst aber erst ihre Tochter Lolita abwehren muss, die dem Herrn, der ihr Vater sein könnte, auch nicht abgeneigt zu sein scheint. Oder auf die Tierpsychologin Carmen (Jessica Lange), die von Männern scheinbar überhaupt nichts mehr wissen möchte. Dann wäre da noch Dora (Frances Conroy), die ihrer Hippie-Vergangenheit abgeschworen hat und nun als Immobilienmaklerin arbeitet und Penny (Tilda Swinton), mit der Don im Streit auseinander ging, wie er sich (leider zu) spät erinnern wird.

In jeder der vier Episoden wirft die exzellent aufgelegte, weibliche Schauspielerinnenriege Murray die komödiantischen Bälle zu, die er mühelos und meist ohne wahrnehmbare Mimik in aller Gemütsruhe versenkt. Broken Flowers ist mit Sicherheit der kommerziellste Film, den Jim Jarmusch je gedreht hat. Und doch versteckt sich hinter all den Witzen, Gags und Pointen eine stilsichere Analyse und Aufbereitung von Lebensgeschichten, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Hinter allen Charakteren verbirgt sich eine kaum fassbare Leere, ein unbestimmtes Gefühl, dass etwas nicht ganz in Ordnung ist oder fehlt. Denn so wie der Titel bereits andeutet, sind Jarmusch Charaktere tatsächlich verblühte Blumen, die die Last des Lebens gebrochen hat. „Ich wollte einen Film über das machen, was man vermisst, ohne genau bestimmen zu können, was man da eigentlich vermisst“, so Jarmusch. Und das ist einem der größten Autorenfilmer unserer Zeit mit Sicherheit gelungen.

Broken Flowers - Cannes 2005

Mit Jim Jarmusch stellt ein weiterer hochgerühmter Autorenfilmer seinen neuesten Film in Cannes vor. Bereits zum fünften Mal ist Jarmusch an der Croisette vertreten.

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Meinungen

Martin Zopick · 01.09.2008

Am Regisseur Jim Jarmusch scheiden sich die Geister: den einen sind seine Kameraeinstellungen zu lang, die Handlung zu dürftig – zu wenig Action – und die Schauspieler agieren oft mit Gesichtslähmung. Für andere hingegen machen gerade diese Kriterien die Qualität der Jarmuschfilme aus.
Der in die Jahre gekommene Computerexperte Don Johnston – mit „t“ – bekommt einen rosaroten Brief, in dem ihm eine Verflossene mitteilt, dass sie vor etwa 20 Jahren einen Sohn von ihm bekommen hat. Vom Nachbarn gedrängt, beginnt Don nach der möglichen Mutter seines Sohnes zu suchen. Auf seiner Reise trifft er die skurrilsten Vertreterinnen der amerikanischen oberen Mittelschicht: eine Maklerin in sterilem Ambiente mit hohlem Ehemann, eine Tierpsychologin, die hört, was die Tiere sagen, ein übrig gebliebener Althippie-Freak bei der ihm von ihren Freunden das Licht ausgeknipst wird.
Und schließlich einen Tramper, der sein Sohn sein könnte – sicher ist man aber nicht. Ihm teilt er seine Lebensphilosophie mit: “Die Vergangenheit ist vorbei, die Zukunft noch nicht da, alles was zählt ist das Jetzt.“
Wenn man sich die Zeit nimmt und mit auf das Roadmovie geht, bemerkt man die vielen kleinen Hinweise, die wie bei einer Schnitzeljagd den Weg weisen könnten.(rosa Brief, Bademantel, Visitenkarte, Schreibmaschine, Schleife am Rucksack) Doch sicher ist hier gar nichts. Vor allem das Ende hinterlässt viele Zuschauer ratlos. Hat Don denn nun seinen vermeintlichen Sohn gefunden oder nicht? Darauf kommt es anscheinend überhaupt nicht an. Die Suche ist Selbstzweck, der Weg ist das Ziel. Dem suchenden Don geht es eigentlich besser – er ist aktiv - als dem daheim auf der Couch liegenden, Fernsehenden Nichtstuer.