Blue End

Eine digitale Auferstehung

Der Mörder Joseph Paul Jernigan war 39 Jahre alt als er im Gefängnis von Huntsville, Texas, mit der Todesspritze hingerichtet wurde – in Texas eigentlich nichts besonderes. Doch Jernigan sollte der vielleicht berühmteste Hingerichtete aller Zeiten werden.

Jernigan führte von Anfang an ein Leben, daß fast zwangsläufig zum Scheitern verurteilt war. Als Kind in Armut aufgewachsen, putzte er nachts Passanten in Chicago die Schuhe. Nach dem Umzug in die texanische Provinz erlitt seine Mutter einen Schlaganfall, Jernigan und seine fünf Geschwister waren praktisch sich selbst überlassen. Langsam geriet der Junge auf die schiefe Bahn.

Jahrzehnte später erreichte Jernigans kriminelle Laufbahn ihren Höhepunkt als er bei einem Einbruch den 76-jährigen Rentner Edward Hale ermordet. Jernigan wird verhaftet und zum Tode verurteilt. 10 Jahre später wird Joseph Paul Jernigan hingerichtet und mit seinem Tod beginnt auch die Geschichte seiner digitalen Auferstehung.

Zwei Jahre lang hatte National Library of Medicine unter der Leitung von Michael C. Ackerman für das „Visible Human Project“ nach einer perfekten Leiche gesucht. Vergebens, denn die Leichen waren in allen Fällen für das geplante Projekt ungeeignet. Mit dem Körper Jernigans, der seine menschlichen Überreste für wissenschaftliche Zwecke gespendet hatte, waren die Wissenschaftler nun im Besitz der „perfekten“ Leiche“.

Jernigan ist noch warm, als ihn die Wissenschaftler in Texas abholen und nach Denver, Colorado, überführen. Er wird mit CT-Scannern vermessen, auf minus siebzig Grad tiefgeforen und in kobaltblaue Gelatine eingegossen. Es geht um die Herstellung des ersten digitalen Anatomieatlas. Millimeter für Millimeter wird Jernigan in dünnen scheiben abgehobelt und digital fotografiert. Was von ihm übrig bleibt, ist nichts als blauer Staub.

Der Dokumentarfilm Blue End ist erschreckend — erschreckend ist die Unmenschlichkeit und die Verweigerung jeglicher Empathie gegenüber dem Verurteilten, sowohl von Seiten der Justiz als auch der Wissenschaft. Der Film stellt grundsätzliche Fragen, über Ethik und Menschlichkeit. Dabei kommt Regisseur Kaspar Kasics ohne jeglichen Kommentar aus – seine Interviewpartner sprechen für sich selbst und das Autoradio verkündet dazu zynisch „I’m proud to be American“.

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