Bleed for This

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Kino als Erinnerung an die Wirklichkeit

Selbst die Filmfiguren können es kaum fassen. „Was ist mit ihm passiert?“, will der Vater des verletzten Boxers wissen. „Er wurde von einem Auto erfasst.“, erklärt seine Ehefrau. Der Vater wiederholt seine Frage ungläubig, als könnte sein Zweifel allein alles ungeschehen machen: „Nein, was ist mit ihm passiert?“ Der größte Gegner eines Boxfilmprotagonisten steht ihm heute nicht mehr im Ring gegenüber, sondern versteckt sich hinter der Kamera oder schreibt Drehbücher. Weil die traditionelle Aufstiegsgeschichte altbekannt und der Sieg des Underdogs erwartbar ist, werden ihm zunehmend größere Steine in den Weg gelegt. Die Geschichte des Profiboxers Vinny Pazienza (Miles Teller) in Bleed for This, der selbst nach einem Genickbruch wieder in den Ring steigt, nimmt man Regisseur und Drehbuchautor Ben Younger nur aus einem Grund ab: Weil sie wirklich passiert ist.
Das Sportlerdrama begleitet die Karriere des Pazmanian Devil von der Niederlage gegen Roger Mayweather 1988 bis ins Jahr 1995 und konzentriert sich dabei vor allem auf die fieberkurvenartig wechselnden Hoch- und Tiefpunkte. Außerdem werden seine Beziehungen zu Trainer Kevin Rooney (Aaron Eckhart) und seiner italienischstämmigen, teils erzkatholischen Familie beleuchtet.

Der Regisseur zieht aus dem Leben des Boxers vor allem einen Schluss: Dass pure Willenskraft jeden körperlichen Nachteil und Mangel an Talent kompensieren kann. Genussvoll ergötzt sich die Kamera an der Zerstörung des Boxer-Körpers und Nahaufnahmen seines schmerzverzerrten Gesichts während der Rehabilitation. Der Pfeifton nach dem ersten Knock-Out und die Hupe nach dem Autounfall klingen gleich, alle Probleme fließen zusammen zu einem einheitlichen und universellen. Immer wieder erklären Freunde und Familie seine Karriere im dramatischen Tonfall für endgültig beendet; endlos werden Einstellungen aneinandergereiht, welche die zukünftige Einsam- und Sinnlosigkeit des Ex-Boxer-Lebens betonen. Diese behauptete Unmöglichkeit soll die Wirkung des im Boxfilm eigentlich unvermeidbaren Triumph des Willens noch weiter verstärken.

Leider ist Teller als Avatar dieser Thesen denkbar ungeeignet. Gewiss: Spätestens seit Whiplash verkörpert er für Hollywood wie kein zweiter einen Konstruktivismus durch inneren Drang. Bleed for This legt sich ihm förmlich zu Füßen. Wenn er in der letzten Einstellung in die Kamera starrt, wird so geschnitten, als hätte sie seinem Blick nicht mehr standhalten können. Doch schon im Jazz-Sportdrama von Damien Chazelle war es immer eher die Kamera, welche Tellers Physikalität wirken ließ. Sein Schauspiel als Boxer ist von einer kümmerlichen Harmlosigkeit geprägt, die Szene um Szene der Lächerlichkeit preisgibt. Sein zaghaft sprießender Schnurrbart könnte ebenso gut aus Milch bestehen und lässt ihn wie einen Schüler wirken, der sich für Halloween als Mittelgewichtsboxer verkleidet hat. Younger vermag ihn nicht als Kämpfer zu inszenieren. Aus den beliebig gefilmten Szenen im Ring wird immer wieder herausgeschnitten, als wäre gerade alles andere interessanter als Tellers wenig überzeugendes Prügeltheater. Diese eigentlich bemerkenswerte Diskrepanz zwischen Äußerlichkeit und innerem Feuer wird nicht genutzt. Im Gegenteil: Die endlosen Standardsituationen des Drehbuchs wirken dadurch nur noch kraftloser. Der Fokus der Hauptfigur fehlt dem Film. Oft hat man den Eindruck, das Füllmaterial einer mittelmäßigen Fernsehserie zu sehen.

Das gilt sowohl im als auch außerhalb des Rings. Die Familienkonstellationen sind stets in einem Satz zu erfassen und werden banal bebildert. Vinnies Vater Angelo (Ciarán Hinds) lebt seine Träume durch seinen Sohn und ist die Stimme, die ihn zur Selbstzerstörung treibt. Später fühlt er sich dafür schuldig. Katey Sagal fügt ihrer langen Liste von undankbaren Mutter-Rollen eine weitere hinzu. Einen großen Teil der Handlung verbringt sie in einem katholischen Käfig – während Vinnies Kämpfen versteckt sie sich betend in einem Nebenzimmer voller Kruzifixe. Wird sie diese Enge in einer rührenden Szene gegen Ende des Films verlassen? (Ja. Natürlich.) Aaron Eckhart sieht aus, als hätte er gerade den vierten Platz in einem Woody-Harrelson-Ähnlichkeitswettbewerb belegt. Als Trainer begleitet und verdoppelt er einfach die Charakterentwicklung seines Schützlings. In manchen Sequenzen vergisst man, dass er auch anwesend ist.

Als Antagonisten dienen vor allem die Promoter Lou (Ted Levine) und Dan Duva (Jordan Gelber), die Vinnies Comeback-Geschichte ausschlachten wollen. Dabei trennt sie eigentlich wenig vom Filmemacher: Das „based on a true story“ trägt Bleed for This vor sich her wie ein Boxer seine Deckung. Texteinblendungen drängen ins Bild und bestimmen historisch korrekt Ort und Zeit. Vor allem aber begleitet immer wieder echtes und gestelltes Archivmaterial das Geschehen. Der Leinwand-Vinnie sieht sich die Kämpfe des historischen im Fernsehen an, als wäre er neidisch auf seine Wahrhaftigkeit. Später gibt es sogar Interviewaufnahmen. In einigen Szenen sehen wir die Figuren bei der Selbstdokumentation mit Videokameras, später werden diese Aufnahmen wie Erinnerungen ins Geschehen montiert. Das Drama versucht, sich in seine eigene Vorlage zu verwandeln.

Manchmal stellt sich die Frage: Warum hat der Regisseur nicht selbst einen Dokumentarfilm gedreht? Formal und dramaturgisch hat er der Geschichte nichts hinzuzufügen, und schon das Casting von Teller, der selbst vor kurzem einen Autounfall hatte, zeigt, dass er seinen Film nur als Echo begreift. Diese Haltung ist fatal für ein Medium der Imagination. Kein Film sollte lediglich eine Erinnerung an die Wirklichkeit sein.

Bleed for This

Selbst die Filmfiguren können es kaum fassen. „Was ist mit ihm passiert?“, will der Vater des verletzten Boxers wissen. „Er wurde von einem Auto erfasst.“, erklärt seine Ehefrau. Der Vater wiederholt seine Frage ungläubig, als könnte sein Zweifel allein alles ungeschehen machen: „Nein, was ist mit ihm passiert?“
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