Ben X

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Zwischen Realität und Cyberspace

Morgens um viertel vor sechs ist die Welt noch in Ordnung: Tag für Tag beginnt der Schüler Ben (Greg Timmermans) sein Ritual mit dem Start seines Computers, er geht online und loggt sich als Ritter Ben X in das Online-Rollenspiel „Archlord“ ein, wo er sich allen Gefahren tapfer in den Weg stellt und jeden Kampf gewinnt. Stets an seiner Seite ist seine Gefährtin Scarlite, die er beschützt und die ihn für seinen Mut und seine Kraft bewundert. Doch pünktlich um 6:33 ist der Traum wieder zu Ende, dann folgt der Ernst des Lebens. Und der ist dem schönen Schein der Cyberwelt in keiner Weise ähnlich. Denn Ben leidet unter Autismus und ist unfähig seine Gefühle auszudrücken oder diejenigen seiner Mitmenschen zu verstehen. Er bemüht sich nach Kräften, „normal“ zu sein und sich möglichst unauffällig zu verhalten, einfach zu funktionieren, doch in den Augen der anderen ist und bleibt er ein Opfer, ein „Marsmännchen“. Und als solches ist Ben für seine Mitschüler ein beliebtes Opfer für Streiche, Hänseleien und fiese Mobbing-Aktionen, die dem Jungen arg zusetzen. Besonders schlimm wird es für ihn, als seine beiden Peiniger Bogaert (Titus de Voogdt) und Desmet (Maarten Claeyssens) ihn vor aller Augen quälen und dies auch noch mit ihren Handys dokumentieren, um es anschließend im Internet zu veröffentlichen. Nun dringt das Leben auch noch in seinen bisherigen Schutzraum, den Cyberspace, ein. Ben beschließt zu handeln und will dem ganzen Spiel ein Ende setzen, und zwar endgültig. Bis plötzlich Scarlite (Laura Verlinden), seine treue Archlord-Gefährtin, leibhaftig vor ihm steht und ihm zeigt, dass das Leben im Hier und Jetzt und nicht in der Cyberwelt stattfindet…
Beinahe so faszinierend wie dieser Film ist auch seine Entstehungsgeschichte: Um die Hintergründe des Online-Zockers möglichst authentisch zu gestalten, wählten die Macher des Films das real existierende Online-Game „Archlord“ und setzten bereits im Vorfeld eigens mehrere Zocker daran, einen möglichst hohen Score für Ben X zu erspielen, so dass sich der Avatar mühelos durch zahlreiche der Levels bewegen konnte. Außerdem gab es den wohl ersten Cyberspace-Location-Scout der Filmgeschichte, der das Spiel systematisch nach besonders filmischen Settings absuchte. Das Ergebnis all dieser Bemühungen ist mehr als nur einen Blick wert und dürfte sowohl Jugendliche als auch Erwachsene gleichermaßen faszinieren. Zugleich thematisiert Ben X ohne erhobenen Zeigefinger die Welt der Online-Gamer und zeigt absolut glaubwürdig, welche Faszination von dieser Cyberwelt ausgeht und welche Auswirkungen dies auf das Denken, Fühlen und Handeln von Jugendlichen haben kann. Trotzdem: Nic Balthazar verfällt niemals in die allseits beliebten Stereotypen über die Schädlichkeit, sondern nähert sich der Cyberwelt mit Neugier und Wohlwollen. Für seinen Protagonisten ist „Archlord“ die bessere von zwei Welten, hier ist er der Held, wird nicht gemobbt und gehänselt, sondern findet Wertschätzung und sogar Freundschaft.

Im Prinzip ist Ben X ein Film über viele Themen: Er beschäftigt sich mit der Lebenswelt eines autistischen Jugendlichen, gibt unerhörte und noch nie zuvor gesehene Einblicke in die Welt der Online-Games, er zeigt Ausgrenzung, soziale Kälte, Mobbing und „Happy Slapping“ (so nennt sich die Praxis, Opfer zu quälen und die Videos anschließend im Internet zu veröffentlichen, um die Schmach noch zu erhöhen), er problematisiert die Vereinsamung und Entfremdung unter Jugendlichen, die manche von ihnen in den Selbstmord treibt, und er ist zugleich eine Ode an die Freundschaft, an feste und stabile Bindungen im realen Leben, ohne die es einfach nicht geht. Das ist viel, vielleicht sogar mehr, als ein Film von eineinhalb Stunden Dauer vertragen kann, so möchte man meinen. Und mancher Filmemacher mag an einer solchen Vielzahl von höchst problematischen Themen bereits gescheitert sein – Nic Balthazar aber gelingt das Kunststück, dies alles mit Leichtigkeit, dem gebotenen Ernst und äußerst spannend unter einen Hut zu bekommen. Ein überaus sehenswerter, streckenweise brillant gemachter und sehr gut von den jungen Darstellern umgesetzter Film, der vielen Jugendlichen und Erwachsenen die Augen öffnen dürfte für die Gefahren, von denen sie umgeben sind. Und ein Wegweiser, wie sie aus diesem Labyrinth wieder hinausfinden können – seien sie nun selbst autistisch oder nicht. Denn so weit entfernt, wie es scheint, ist die Krankheit für keinen von uns. Auch das lehrt dieser Film, den man gar nicht genug loben kann.

Ben X

Morgens um viertel vor sechs ist die Welt noch in Ordnung: Tag für Tag beginnt der Schüler Ben (Greg Timmermans) sein Ritual mit dem Start seines Computers, er geht online und loggt sich als Ritter Ben X in das Online-Rollenspiel „Archlord“ ein, wo er sich allen Gefahren tapfer in den Weg stellt und jeden Kampf gewinnt.
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Meinungen

Angele Karin · 20.08.2008

Ein herausragender und hoch intelligenter Film, wie man ihn selten sieht.!!! Eine fantastische Wendung der Geschichte!! Generell absolut empfehlenswert und für Schulklassen mit dem Prädikat "besonders wertvoll" zu versehen. Man kann sich nur mehr dieser Art auf dem Filmmarkt wünschen. Ein sehr berührender und nachhaltig wirkender Film. Großes Kompliment an den Regisseur.!!!!!

Regina Rodi · 24.05.2008

Der beste Film den ich seit Jahren gesehen habe, dass Ende ist phänomenal. Dieser Film sollte undebingt Pflichtfilm an Schulen werden. Schade dass er nur in so wenigen Kinos und so kurz läuft. Hätte ihn mir gerne noch ein 2mal angeschaut.