Begegnungen nach Mitternacht (2013)

Eine Filmkritik von Lisa Hedler

Einladung zum surrealen Tête-à-Tête (mit Éric Cantona)

Kontrastpaare: Der erste Spielfilm von Regisseur Yann Gonzalez ist geprägt von ihnen. Licht und Schatten. Geist und Körper. Leben und Tod. Klischeegegensätze – schon klar. Aber dennoch passend. Schon Sigmund Freud spricht von den dualistischen, im Konflikt zueinander stehenden Triebarten Eros und Tod(estrieb). Und auch der Psychoanalytiker C.G. Jung beschäftigte sich mit der Persönlichkeit, die aus Persona (der sogenannten Maske) und Schatten besteht. Die Maske ist die äußerliche Persönlichkeit; hier entsteht das sozialverträgliche Verhalten. Der Schatten hingegen ist der dunkle Teil der Persönlichkeit – der geprägt wird durch das Unterbewusste im Menschen. Freud und Jung waren beide dem Unbewussten auf der Spur. Eine mögliche Gemeinsamkeit mit Gonzalez. Die Welt der Schatten wird in Begegnungen nach Mitternacht auf vielschichtige Weise gezeigt – sowohl inhaltlich als auch visuell. Hinzu kommt die interessante (visuelle) Verknüpfung vom Stereotyp des bedeutungslosen Sex – der zum Vorwand der Gemeinsamkeit wird, aber auch eine Verzweiflung der Einzelnen zeigt – mit der seelischen Problematik der Figuren.

Doch zum Inhalt. In Begegnungen nach Mitternacht treffen sich sieben Personen zu einem nächtlichen Tête-à-Tête. Drei von ihnen, Ali, Udo (die Gouvernante) und Matthias, kennen sich bereits. Die anderen stoßen anonym hinzu. Nur die Decknamen werden genannt: die Schlampe, der Hengst, der Jugendliche und die Diva. Eine besondere Stellung innerhalb dieser Gruppe kommt der Dreieckskonstellation Ali / Udo / Matthias zu – das Schicksal hat die drei zusammengebracht. Während des Abends entsteht eine eigene Dynamik innerhalb der Gruppe. Äußerlich passiert nicht allzu viel, aber die seelischen Vorgänge gehen tief. Der Film erweist sich als Abstieg in die seelischen Tiefen der Charaktere. Die Gruppe vermittelt Sicherheit und Vertrauen und so gibt jeder etwas von sich preis – und diese Geschichten und Träume werden auf surrealistische und abstruse Art und Weise visualisiert. Insgesamt ist der Film ästhetisch von Dunkelheit und Schatten geprägt. Manchmal wird auch der Eindruck einer Theaterbühne ohne zeitliche oder ortsgebundene Verankerung vermittelt. Extreme Personen, extreme Farben.

Tiefe Melancholie wird immer wieder durch den harten Kontrast sexueller Handlungen unterbrochen, die in diesem Moment weder liebevoll sind, noch Nähe entstehen lassen. Diese entsteht durch die Gespräche. Der Abend entwickelt sich zu einer grotesken Therapierunde, in der tiefes Vertrauen entsteht. Angetrieben vom Sexual- und Selbsterhaltungstrieb, um schließlich zusammen gegen den Todestrieb und die eigene Destruktivität gemeinsam anzukämpfen. Diese Ehrlichkeit kann ab und an auch surrealistisch anmuten, sodass nicht klar wird, ob manche dieser Geschichten in der Realität auch so abgelaufen sind. Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Yann Gonzalez spielt mit Sinnbildern, dem Unterbewusstsein und versucht Emotionen sichtbar zu machen. Nichts ist konkret. Alles ist bewusst unbewusst. Das einzig Greifbare ist der Handlungsrahmen.

Und auch die Vertreter der Gender Studies werden ihre Freude an dem Film haben. Denn Udo, die Gouvernante, wird von einem Mann — Nicolas Maury (bekannt aus Paris je t’aime und Let My People Go!) — gespielt. Udo ist als Frau gekleidet, wird aber nicht ausdrücklich als solche ausgewiesen und sorgt daher als ambivalente Figur für eine Irritation des Zuschauers. Zugleich erweitert diese Figur den thematischen Horizont, indem sie ganz selbstverständlich Transsexualität ins Spiel bringt. Neben Udo zeigen auch die anderen Figuren eine Bandbreite an Stereotypen, die interessant ausgestaltet sind. So zum Beispiel Matthias — der todtraurige, ewige Schönling, gespielt von Niels Schneider (man denke an dessen Part in Xavier Dolans Herzensbrecher) — oder auch Éric Cantonas Rolle als Hengst, der die Poesie liebt, aber mit einem übergroßen Phallus „geschlagen“ ist, der sein Leben bestimmt… Gemeinsam ist ihnen allen, dass sie auf der Suche nach etwas sind. Und eine große Angst — hauptsächlich vor Verlust.

Der Film irritiert und hinterlässt ein großes What-the-fuck im Kopf. Man könnte Begegnungen nach Mitternacht zwischen französischem Kunstfilm und Porno ansiedeln. Wer ein bisschen (oder ein bisschen mehr) Abstrusität und Surrealismus nicht abgeneigt ist, wird seine Freude an dem Film haben.
 

Begegnungen nach Mitternacht (2013)

Kontrastpaare: Der erste Spielfilm von Regisseur Yann Gonzalez ist geprägt von ihnen. Licht und Schatten. Geist und Körper. Leben und Tod. Klischeegegensätze – schon klar. Aber dennoch passend. Schon Sigmund Freud spricht von den dualistischen, im Konflikt zueinander stehenden Triebarten Eros und Tod(estrieb).

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