Aus der Tiefe des Raumes

Die ganze Wahrheit über Günter Netzer

Es ist schon erstaunlich, welche Entwicklung der deutsche Fußball in den letzten Jahren genommen hat – im Kino. Nachdem deutsche Filmemacher lange Jahre mit dem Lieblingssport einer ganzen Nation nichts besseres anzufangen wussten, als legendäre Nullnummern wie Libero zu drehen, wird das Spiel mit dem runden Leder plötzlich hof- und filmfähig. Im Sog von Das Wunder von Bern scheint nun die Laune erwacht zu sein, sich dem Mysterium des Spiels auch mal als quietschbunte Trashkomödie zu nähern und nicht nur als historienbesoffenes Erbauungsdrama.

Eine miefige, spießbürgerliche Kleinstadt irgendwo im Rheinland: Der etwas schüchterne Hans-Günter (Arndt Schwering Sohnrey) ist begeisterter Tipp-Kicker und beherrscht das Tischfußballspiel mit den Metallmännchen auf höchstem Niveau. Bei einem Ausscheidungsturnier für die deutsche Meisterschaft lernt er die junge Fotografin Marion (Mira Bartuschek) kennen und lieben: Gleich die erste Verabredung endet im wilden Liebesrausch im Schlafzimmer der Holden. Und noch überraschender: Es stellt sich direkt Nachwuchs ein, allerdings einer der ungewöhnlichen Sorte: Ausgerechnet Hans-Günters Lieblings-Kicker fällt nämlich in Marions mit Photochemikalien gefüllte Badewanne und erwacht durch ein Gewitter und andere physikalisch-chemische Reaktionen zum Leben. Das Fußball-Monster (Eckhard Preuß) entkommt, anfangs noch etwas ungelenk, doch in der Kleinstadt findet Hans-Günter seinen Lieblingsspieler bald wieder, was Marion allerdings zu der Vermutung veranlasst, ihr One Night Stand sei in Wirklichkeit schwul.

Mit Hilfe des Insiderwissens seines großen Kickerfreundes wird Hans Günter nun zum großen Favoriten der Tipp-Kick-Meisterschaft, während der metallene Held – mittlerweile mit einer blonden Damenperücke ausgestattet – die Freuden des wahren Fußballspiels entdeckt. Er gelangt in die niederrheinische Bezirksauswahl und teilt fortan sein Zimmer mit Hans Hubert („Ich nenn dich einfach Berti“). Der Standfußballer lernt schnell die Raffinessen des Spiels, die er schließlich bei einem alles entscheidenden Spiel der Welt demonstrieren kann. Ein Star des deutschen Fußballs ist geboren.

Regisseur Gil Mehmert setzt bei seiner absurden Geschichte um die „wahren Hintergründe“ einer deutschen Fußball-Legende gleich auf zwei Kultgaranten: Zum einen auf den Ferrari fahrenden Mann mit der Betonfrisur und zum anderen auf die kleinen Metallkicker, die seit Jahrzehnten deutsche Kinderzimmer bevölkern. Mitunter rumpelt und holpert die Geschichte ordentlich und manche Unlogik drängen das muntere Spiel in Richtung Abseits, was aber durch die schnoddrige und rotzfreche Erzählweise immer wieder gerade noch verhindert wird. Und das liebevoll eingefangene und bissig karikierte Zeitkolorit der sechziger Jahre ist allemal das Eintrittsgeld wert, denn trotz des Trash-Appeals unterhält der Film über 90 Minuten besser als mancher müde Kick im Fernsehen. Nun warten wir gespannt auf die nächste Idee. Wie wäre es denn mit Sepp Maier als zum Leben erwachte Holzfigur von Karl Valentin? Oder Claudia Schiffer als reinkarnierter Barbie-Puppe? Und wer weiß: Vielleicht ist ja Michael Schuhmachers Formel-1-Bolide in Wahrheit ein mutiertes Matchbox-Auto.

Der andere Blick:

Der arme Günther

Manchmal sitzt man im Kino, sieht eine deutsche Komödie und rätselt über eine fremde und seltsame Welt. Man glaubt noch eine Zeit lang an einen Scherz, hofft auf Selbstironie, um später im Presseheft herauszufinden, was den Regisseur tatsächlich geritten hat. Des Rätsels Lösung: Aus der Tiefe des Raumes, das Kino-Erstlingswerk von Gil Mehmert, will ein „modernes Märchen für Erwachsene“ sein. Man möge doch aber bitte „die aberwitzige Grundidee nicht in den falschen Hals bekommen, auch weil es ja Filme, die nur realistisch an der Oberfläche kleben bleiben, in Deutschland wahrlich genug gäbe“.

Soweit so gut: man soll sie also goutieren, diese Fernsehgeschichte, sie lieb haben für ihre lustigen Ideen, vielleicht einen inneren Bonus aussprechen, wie man es bei Wenzel Storch oder Christoph Schlingensief bereits getan hat. Nicht wieder den doofen Kritiker spielen, der den deutschen Film ewig schlecht macht. Einfach über den Dingen stehen. Einen Film gut finden, weil er halt so herrlich schräg ist.

Ach ja, der Plot: Hans Günter (Arndt Schwering-Sohnrey), ungelenker junger Mann Mitte 20, geht im biederen Kleinstadt-Ambiente der bundesrepublikanischen 60er Jahre dem Tipp-Kick-Hobby nach und lernt bei einem Turnier die Fotografin Marion (Mira Bartuschek) kennen. Eine (auch für den Zuschauer) überraschende Romanze zwischen den beiden entbrennt, aber es kommt noch dicker: zur gleichen Zeit landet Hans Günters Lieblings-Tipp-Kick-Männchen, die Nummer 10, in Marions Badewanne, in der verschiedene Fotochemikalien den Tipp-Kick Mann zu einem ausgewachsenen männlichen Wesen namens Günther (Eckhard Preuß, der anfangs aussieht wie Klaus Nomi) werden lassen. Zum Glück kümmert sich Hans Günter fürsorglich um Günther, noch nicht ahnend, dass aus ihm der berühmter Günther Netzer mit der berühmten Frisur und der berühmten Schuhgröße werden wird …

Was sich anfänglich vielleicht noch wie Fantasy mit potentiellem Charme und Kurzfilmpotential anhört, entwickelt sich mit zunehmender Filmspiellänge immer mehr zu einer dümmlichen Persiflage auf den deutschen Fußball, die mit allerlei Einsprengseln („Berti!“) versucht, irgendwie lustig zu sein. Ein paar nette, kleine Ideen und Details: sei zugestanden. Der ein oder andere gelungene Dialog: von mir aus. Ansonsten aber nur platte Unterhaltung für diejenigen unter den Kinobesuchern, die einen biederen Witz bei einer in allen Bereichen konstruierten Geschichte zu schätzen wissen. Für alle anderen an dieser Stelle der gutgemeinte Ratschlag, sich vor der Vorstellung besser einen anzutrinken, um diesen unglaublichen Käse zu ertragen.

Aus der Tiefe des Raumes

Es ist schon erstaunlich, welche Entwicklung der deutsche Fußball in den letzten Jahren genommen hat – im Kino.

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Meinungen

Kritiker · 24.02.2005

Völlig zu Recht in der Versenkung verschwunden so dumm, dass es weh tut.

Kritiker · 24.02.2005

Völlig zu Recht in der Versenkung verschwunden so dumm, dass es weh tut.