Aus dem Abseits

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Der Mut des einzeln wandelnden Nashorns

Ein Mann im Schnee: Klein wie ein Punkt. Unscharf, verloren. Eindeutig die bildgewaltigste Einstellung in der Auftaktsequenz von Aus dem Abseits – und zugleich ein aussagekräftiges Symbolbild für den Versuch des Regisseurs, endlich mehr Klarheit und Übersichtlichkeit in die eigene Erinnerungsarbeit zu bringen. Denn der gesuchte Vater ist lange fort – und hieß Peter Brückner.
Kein Name (mehr), der den Jüngeren heutzutage sofort ins Auge springt. Aber ein schillernder Kampfname für alle, die sich im Umfeld der Gesellschaftsrevolution von 1968 sehr aktiv – oder auch „nur“ studierend – engagierten. Denn Peter Brückner war Mitte der 1960er Jahre des letzten Jahrhunderts einer der wortgewaltigsten Theoretiker innerhalb der linken Intellektuellenszene, Lehrstuhl für Sozialpsychologie inklusive. An der Universität Hannover, die mittlerweile ein eigenes Wissenschaftsarchiv zur Persona Brückner beherbergt, galt sein Wort etwas, insbesondere auch in Zeiten studentischer Straßenschlachten und terroristischer Rasterfahndung à la Horst Herold, dessen öffentliches Bild heute ebenfalls zwischen „erfolgreichster Polizist“ und „radikalster Fahnder“ schwankt.

Im Zuge der groß angelegten Verfolgung aller, zum Teil schon damals mythisch überhöhten, Mitglieder der Roten Armee Fraktion quer durch die Bonner Republik, hatte eben jener Peter Brückner einst Ulrike Meinhof höchstselbst Unterschlupf gewährt: Ein Affront mitunter sogar in den zur damaligen Zeit immer diffuser werdenden Lagern der linken Kommunarden in West-Berlin, Göttingen oder Hamburg. Schließlich war sie als besonders prominentes Mitglied der Baader-Meinhof-Bande nichts weniger als die politisch imprägnierte Hohepriesterin der RAF: eine journalistisch erfahrene, vom Feuereifer der Revolution mit Waffen geprägte Lautsprecherin der bald blutig mordenden Terroristen.

Selbst nach dem brutalen Ende des Deutschen Herbstes von 1977 war es dem gebürtigen Dresdner, der sich als jüdischer Freigeist bereits im nationalsozialistischen Deutschen Reich früh durchzuboxen lernte, nicht möglich, die geistige Auseinandersetzung mit der ehemaligen Konkret-Autorin aufzugeben. Ulrike Meinhof und die deutschen Verhältnisse (1978) hieß das Resultat dieser kontroversen Beschäftigung, erschienen im damals ebenfalls nicht unverdächtigen Berliner Wagenbach-Verlag.

Ein kleiner Coup des Filmemachers Simon Brückner ist dementsprechend ein bemerkenswerter O-Ton aus dem Munde von Klaus Wagenbach, der in Hinsicht auf den Vater des gleichzeitig drehenden Sohnes eher süffisant, aber im Kern richtig, bemerkt, dass er zeitlebens „den Mut des einzeln wandelnden Nashorns“ an ihm bewunderte. Oft stur, manchmal mehr als nur eigensinnig, konnte Papa Brückner sein. Das Privatleben nicht ausgenommen – und in der öffentlichen Rolle als linker Parolenpapst, der zweimal vom Hochschuldienst suspendiert wurde, erst recht. Von den Studenten geliebt, von der Gesellschaft gebrandmarkt, machte es sich der streitbare Brückner (1922-1982) nämlich mit keinem leicht: Weder mit seinen drei Frauen, noch mit seinen vielen Kindern. Und doch waren alle bis zum Ende hin seltsam eng mit ihm verbunden. Eine gar „sirenenhafte Ausstrahlung“ bescheinigt ihm auch heute noch seine letzte Frau gegenüber der Kamera.

Eines der Kinder, Simon Brückner, möchte nun nach Jahren des Nicht-Wissens und Hören-Sagens ganz persönlich mehr Licht in die Beziehung zu seinem 1982 verstorbenen Vater bringen. Damals war der Mitbegründer der Berliner „FilmARCHE“, der ersten selbstverwalteten Filmschule Europas, gerade einmal vier Jahre alt. Es blieb für den jungen Regisseur (Jahrgang 1978) bisher also eher die – selbst oder öffentlich geschaffene? – Erinnerung an den umstrittenen Papa. Was ist von ihm erhalten, außer den oft zitierten Buchtiteln (Versuch, uns und anderen die Bundesrepublik zu erklären) und einer Reihe gesellschaftstheoretischer Kampfbegriffe („präventive Konterrevolution“, „Bürgerkriegsgewalt“ oder „Posthistoire“)? Von dem Mann, für dessen Wiedereinsetzung im öffentlichen Dienst sich sogar der große Michel Foucault stark machte.

Bei Gefährten nachhaken – Wirkungsstätten besuchen – oder schlichtweg: genau zuzuhören, was einem die Vertrauten des Vaters – mit dem oft spürbaren Schatten der Geschichte im Kreuz – zu sagen haben. Das ist konsequenterweise auch der narrative Faden dieser assoziativ angelegten, halbschattigen Portraitstudie. Nicht ohne Längen, aber unterfüttert mit aufschlussreichem Schwarzweiß-Archivmaterial aus der NS-Zeit bis zum Ende der Hochschulkarriere Brückners, gelingt dem jungen Brückner ein vielschichtiges Portrait über den alten Brückner – ohne wirklich endgültige Klarheit in jedes Dunkel zu bringen, zum Vorteil des Films. Denn der höhere Sinn der Brücknerschen Antrittsvorlesung „Der Rhesus-Affe als Interpret seines Zoologen“ wird auch beim dritten Hören nicht verständlicher. Im Gegenteil: er regt zum Diskurs an, wie der Herr Professor sicherlich zufrieden festgestellt hätte. Schön eigentlich.

Aus dem Abseits

Ein Mann im Schnee: Klein wie ein Punkt. Unscharf, verloren. Eindeutig die bildgewaltigste Einstellung in der Auftaktsequenz von „Aus dem Abseits“ – und zugleich ein aussagekräftiges Symbolbild für den Versuch des Regisseurs, endlich mehr Klarheit und Übersichtlichkeit in die eigene Erinnerungsarbeit zu bringen. Denn der gesuchte Vater ist lange fort – und hieß Peter Brückner.
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Meinungen

edith rom · 17.12.2016

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