Auf brennender Erde

Eine Filmkritik von Lida Bach

Heißkalte Leidenschaften

Dass Drehbuchautoren den Weg aus dem Schattendasein ihres Wirkens wagen und hinter der Kamera auf dem Regiestuhl Platz nehmen, ist nur ganz wenigen und dann zumeist den wirklich erfolgreichen dieser Zunft vorbehalten. Nun wagt mit Guillermo Arriaga einer der Meister des Drehbuchs diesen Schritt. Der 1958 in Mexiko-City geborene Autor ist spätestens durch seine Zusammenarbeit mit Alejandro Gonzaléz Iñárritu bei dessen Filmen Amores Perros (2000), 21 Gramm (2003) und Babel (2006) und durch sein Skript für Tommy Lee Jones‘ Regiedebüt Die drei Begräbnisse des Melquiades Estrada bekannt wie ein bunter Hund in der Filmbranche. Während der Dreharbeiten zu Babel kam es allerdings zu einem Zerwürfnis mit Iñárritu, so dass seine erste Regiearbeit Auf brennender Erde / The Burning Plain nach einem eigenen Drehbuch durchaus als Akt der Selbstbefreiung gedeutet werden kann. Der Film war prompt zum Wettbewerb bei den 65. Filmfestspielen von Venedig eingeladen und kommt nun mit einiger Verzögerung in die deutschen Kinos.
Seinem Stil und seiner Vorliebe für spiralförmig konstruierte und fragmentierte Plots, die von einer starken Urszene ausgehend ein vielschichtiges Drama entspinnen, bleibt Arriaga auch bei seinem Regiedebüt treu. Auf brennender Erde beginnt, wie der Titel es ankündigt – heiß. Irgendwo im Süden der USA, nahe der Grenze zu Mexiko geht ein Wohnwagen in Flammen auf. Kilometerweit ist der Brand zu sehen, es ist das Fanal einer heimlichen, einer verbotenen Liebe zwischen Gina (Kim Basinger) und Nick (Joaquim de Almeida), die gar nicht anders enden kann als so – tödlich. Doch immerhin hat das Unglück etwas bewirkt, was den Liebenden im Leben nicht vergönnt war. Die enorme Hitze des Brandes hat die beiden Körper zu einem werden lassen, sie sind miteinander verschmolzen und damit im Tode vereint.

Doch mit dem Tod von Gina und Nick ist die Geschichte, die gerade erst begonnen hat, nicht zu Ende, sie beginnt gerade erst. Jahre später im weit entfernten Seattle: Auf den ersten Blick ist die erfolgreiche Restaurantbesitzerin Sylvia (Charlize Theron) eine glückliche Frau. Doch die Wahrheit sieht anders aus – immer wieder sucht sie das schnelle Abenteuer, um ihren Schmerz hinter sich zu lassen und für einen Augenblick zu vergessen, was ihr widerfahren ist. Erst allmählich stellt sich heraus, dass es ein geheimes Band zwischen ihr und der tragisch endenden Liebesgeschichte zwischen Gina und Nick gibt. Auch wenn einige Jahre und etliche tausend Kilometer dazwischen liegen – Schicht um Schicht und mit unerbittlicher Präzision enthüllt sich langsam das ganze Ausmaß der Tragödie, das die Protagonisten miteinander verbindet, das sie aneinander kettet und vereint schließlich noch zwei weitere Plotlines zu einem großen Ganzen, das auf magische Weise miteinander verbunden ist.

Betont schnörkellos und mit Hilfe der Kameraarbeit vom Robert Elswit (Boogie Nights, Magnolia, Syriana, There Will Be Blood) durchaus auch bildgewaltig hat Guillermo Arriaga sein dicht gesponnenes Beziehungsdrama inszeniert. Man kann vermuten, dass dies auch als Kontrapunkt zum manchmal manieristischen und verspielten Regiestil seines früheren Mitstreiters Alejandro Gonzaléz Iñárritu gesetzt ist. Dennoch ist die Verwandtschaft zwischen den Filmen des mexikanischen Regisseurs und seines früheren Drehbuchautors unverkennbar – schließlich liegt den Werken die gemeinsame Handschrift des Verfassers der Vorlagen zugrunde.

Und so schwelgt Arriaga in schicksalhaften Verbindungen voller Schuld und anderer Verstrickungen, die das Aufwachsen in einer streng katholisch geprägten Umgebung verraten. Uneingestandene Liebe und verbotene Leidenschaften, der Versuch des Ausbruchs aus dem engen moralischen Korsett und die unweigerlich folgende Strafe, Sünden, die sich über Generationen hinweg wie ein hochinfektiöses Virus weiterverbreiten und selbst nach vielen Jahren noch ihre verhängnisvolle Wirkung entfalten – Themen und Motive wie diese lassen keinen Zweifel daran, auf welches Ende alle Geschichten hinauslaufen. Auch wenn es recht lange dauert, bis die verschiedenen Erzählstränge zusammenfinden. Dann aber kommt man nicht umhin, die Raffinesse der Konstruktion des Skripts zu bewundern, das mit leichter Hand den Bogen schlägt zwischen gleich vier Geschichten, die schließlich ebenso miteinander verschmelzen wie zu Beginn des Films die beiden Körper der Liebenden in den lodernden Flammen.

Wobei sich allerdings schon die Frage stellt, ob eine lineare Plotkonstruktion der Geschichte nicht mehr Drive und den Figuren insgesamt mehr Tiefe verliehen hätte. So wirken sie in diesem Film wie auch in den Werken Alejandro Gonzaléz Iñárritus ein wenig wie Schachfiguren, die von ihrem Schöpfer nach Belieben auf einem Spielbrett namens Kino herumgeschoben werden – nicht als Menschen aus Fleisch und Blut, sondern als Metaphern, als Bausteine einer Parabel und als Ausdruck einer Weltsicht, die sich dadurch auszeichnet, dass wir Menschen lediglich Marionetten sind, deren Schicksalsfäden von einem Spieler bewegt werden, dessen Ziel wir nicht kennen.

Nicht nur wegen dieser zutiefst pessimistischen Weltsicht ist Auf brennender Erde ein zwiespältiger Film, der in sich vereint, was man sonst nicht kaum je miteinander kombiniert findet: er ist ungeheuer dicht und dann wieder langatmig zugleich, leichtfüßig-elegant und deutlich sichtbar (über)konstruiert, voller großer Emotionen und im nächsten Moment wieder von geisterhafter Kälte, elegant und schicksalsschwer in einem Atemzug.

(Joachim Kurz)
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Glut. Nicht die Hitze der sengenden Wüstensonne entflammt den Sand. Mitten in der Einöde New Mexicos lodern die Flammen um einen alten Wohnwagen. Eine Explosion hat die Stille der ländlichen Einsamkeit zerrissen und den Wagen und was in ihm war, verschlungen. Im Nirgendwo, wie aus dem Nichts.

Kälte. Die Winterkälte Oregons lässt die Wellen fast gefrieren. Beständig schleift das Meer die Felsen an der Küste. Wie Erinnerungen, die beständig zurückkehren, sich immer tiefer in die Seele kerben. Äußerlich ist die Veränderung unsichtbar. Erst die Zeit macht sie deutlich. Und der gleiche Ort kann wie ein fremder erscheinen.

Noch mehr Glut. Gina (Kim Basinger) spürt sie, wenn sie in den Armen von Nick (Joaquim de Almeida) ihre lieblose Ehe vergisst. Ihrem tristen Alltag entflieht die vierfache Mutter in eine heimliche Affäre mit dem Familienvater aus dem Nachbarort. Einen alten Trailer hat Nick zwischen ihren beiden Wohnorten in der Wüste geparkt. Dort finden die verbotenen Treffen des heimlichen Liebespaares statt. Doch selbst hier haben die Augen von Ginas Tochter Mariana (Jennifer Lawrence) Ginas Affäre entdeckt.

Mehr Kälte. Anderes spürt Sylvia (Charlize Theron) hinter ihrer undurchdringlichen Fassade nicht mehr. Ihre abgestumpfte Psyche betäubt die Managerin eines Edelrestaurants am Rande Seattles mit Sex und Selbstverletzungen. In ihr brennt die Schuld, der Gedanke an ein schreckliches Unglück, dessen Folgen bis in ihr gegenwärtiges Leben nachhallen. Und der Fremde (José María Yazpik), der ihr folgt, weiß um ihre Vergangenheit.

Liebe, Hass und Begehren lodern in Guillermon Arriagas mystischem Regiedebüt Auf brennender Erde. Sein Talent für das Verfassen komplexer Drehbücher bewies Arriaga mit den Scripts zu Amores Perros and The Three Burials of Melquiades Estrada. Die vielschichtigen Charaktere und dramatische Intensität, die darin verborgen liegen, bannt Alejandro Gonzales Inarritu in seinen Adaptionen von Babel und 21 Gramm auf die Leinwand. Die raue Szenerie und Farbdramaturgie von Auf brennender Erde erinnern an eine matte Kopie von dessen Werken. Wahrscheinlich hätten viele Regisseure gern Arriagas jüngstes Drama verfilmt. Doch nach jahrelangem Schreiben für andere Filmemacher wollte der Autor selbst inszenieren.

Überdeutlich betonen der Kontrast zwischen dem eisgrauen Orgeon, und den Gelbtönen New Mexicos, Meer und Wüste, Hitze und Winterkälte die Verschiedenheit der markantesten Handlungsstränge in dem Geflecht von Zeit- und Raumebenen. Sinn der dramaturgischen Schleifen ist den simplen Plot in Bedeutungsschwere zu verpacken. Auf brennender Erde schüttet ein Szenen-Puzzle aus, dessen Zusammenfügen zu einer chronologischen Geschichte ihm anspruchsvoll genug scheint. Der überkonstruierte Plot lässt das Vertiefen in eine Handlungsepisode oder Empathie für ihre Protagonisten nicht zu. Vergeblich mühen sich die begabten Darsteller; ihre Figuren verblassen zu Schatten, deren prägnante Konturen innere Leere verbergen. Den Mangel an Authentizität sollen emotionale Exzesse ausgleichen, meist ohne ersichtliche dramaturgische Motivation.

Die verschlungene Struktur entrückt die Hintergründe von den Figuren, so dass deren Schmerz willkürlich erscheint. Die Symbolik unterstreicht den Moralismus der Geschichte von Schuld. Für ihr Liebesfeuer müssen Gina und Nick im Feuer sterben. Sie sind gerichtete Sünder und gleichzeitig ein gemeinsam sterbendes Liebespaar. Sylvias Narben bezeichnen Kainsmale, ihre Autoaggression reuige Selbstkasteiung. Absolution gewährt nur die Beichte. Erklingt sie nach allen melodramatischen Konventionen, ist von den glühenden Erwartungen an Auf brennender Erde nur kalte Asche übrig.

Auf brennender Erde

Dass Drehbuchautoren den Weg aus dem Schattendasein ihres Wirkens wagen und hinter der Kamera auf dem Regiestuhl Platz nehmen, ist nur ganz wenigen und dann zumeist den wirklich erfolgreichen dieser Zunft vorbehalten. Nun wagt mit Guillermo Arriaga einer der Meister des Drehbuchs diesen Schritt.
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