Alles ist erleuchtet

Eine Filmkritik von Jasmin Haery

Rasante Suche nach der Vergangenheit

Wer ist Augustine? Dieser Frage geht Jonathan auf die Spur. Weder romantische Ambitionen noch kriminalistischer Spürsinn treiben ihn an. Einzig das Bedürfnis, Licht zu bringen in die dunkle Vergangenheit seines Großvaters, ist sein Motor. Und Augustine hat irgendetwas mit dieser Vergangenheit zu tun. Zunächst ist sie nicht mehr als eine junge Frau, die Jonathan von einem alten vergilbten Foto kennt. Einer Aufnahme, die sein Großvater ihm vererbt hat. Vererbt für Jonathans ungewöhnliche Sammlung: Einem bizarren Sammelsurium von profanen Alltagsgegenständen – angefangen bei den dritten Zähnen der Großmutter, über diverse Papierschnipsel, Münzen und Knöpfen bis hin zu Heuschrecken, Blumen oder Kieselsteinen. Lauter Gegenstände also, die in Verbindung stehen mit der Geschichte der eigenen Familie und die, allesamt feinsäuberlich in kleinen Ziploc-Gefriertüten abgepackt, an eine Zimmerwand gepinnt werden. Warum er das ganze Zeug sammele, wird er einmal gefragt und antwortet lapidar: Aus Angst zu vergessen. Der sammelwütige Enkel, das ist Jonathan Safran Froer. Er ist die Hauptfigur in dem Film Alles ist erleuchtet.
Doch Froer gibt es auch im wahren Leben. In diesem ist er Autor und hat die Romanvorlage Everything is illuminated geschrieben, die in den USA einen Sensationserfolg feierte. Jetzt hat sich Liev Schreiber – als Schauspieler bekannt geworden durch Rollen in zahlreichen Hollywood-Blockbustern, wie Kate & Leopold neben Meg Ryan oder The Manchurian Candidate neben Denzel Washington – des Stoffs angenommen und ein Drehbuch, mehr noch sein Regiedebüt daraus gemacht. Und ihm ist mit Alles ist erleuchtet ein unglaublich warmherziger Film über die Spurensuche nach der dunklen Vergangenheit der Großelterngeneration gelungen. Ein Film, der ein mitunter schweres und dramatisches Thema mit fast schon ungehöriger Leichtigkeit anpackt.

Wer also ist jene Ausgustine? Wie und warum hat sie das Leben von Jonathans Großvater gerettet? Auf der Suche nach einer Antwort, stößt Jonathan immer mehr Türen in die Vergangenheit auf und begibt sich schließlich auf eine Reise quer durch die Ukraine. Eine Reise die ihn, aber auch seine Weggefährten verändern wird. Ein Schelm, wer sogleich an Frodo und seine Gefährten denken muss, nur weil Elijah Wood einen hinreißend schrulligen Jonathan gibt. Eindringlich beweist er hinter seinen an Glasbausteine erinnernden Brillengläsern, dass er weit mehr spielen kann als einen Hobbit mit Schmuckproblemen.

Alles in allem ist Alles ist erleuchtet ein wunderbares Roadmovie geworden, das vom Zusammenspiel aller vier Protagonisten lebt. Denn auch Jonathans Reiseführer sind ganz köstlich geraten: Da gibt es den jungen ukrainischen HipHop-Fan Alex, der sich wie seine US-amerikanischen Vorbilder den XXL-Trainingsanzug mit jeder Menge Goldketten aufpeppt, eine erstaunliche Sammlung Kangol-Kappen besitzt und begeisterter Breakdancer ist. Gemeinsam mit seinem Großvater (vierschrötig gespielt von Boris Leskin) steht Alex – nicht ganz freiwillig – parat, um den amerikanischen Sonderling quer durch die Ukraine zu fahren und als Übersetzter zu vermitteln. Der Großvater, seit dem Tod seiner Frau angeblich blind, versteckt seine Augen hinter einer riesigen schwarzen Sonnenbrille à la Stevie Wonder und sieht angeblich nur noch durch die Augen von Hauptdarsteller Nummer vier: Sammy Davis Jr. Jr. – einem entzückenden Border Collie.

Alleine für diese sensationellen Figuren lohnt es sich ins Kino zu gehen. Doch es wird noch besser: Eingepfercht im kleine, typisch blauen Trabi-Kombi, auf dessen Dach stolz das Firmenschild Jewish Heritage Tours prangt, begeben sich die Vier auf eine bizarre Reise in die Vergangenheit. Die Suche nach der Geschichte von Jonathans Großvater wird gleichzeitig auch zur Spurensuche für Alex und seinen Großvater. Nach und nach kommen sie immer intensiver mit der bis dahin totgeschwiegenen anti-semitischen Vergangenheit der Ukraine in Kontakt, werden mit sozialen Missständen, amerikanischen Vorurteilen gegenüber Osteuropäern und dem Unverständnis der bodenständigen Menschen angesichts der amerikanischen Dekadenz konfrontiert. Immer wieder brechen unausgesprochene Konflikte auf, holen Schatten der Vergangenheit die Suchenden ein. Und je mehr Nähe unter einander entsteht – gewollt und ungewollt, desto verletzlicher werden sie.

Neben den hervorragenden Darstellern – besonders erwähnenswert auch das fulminante Leinwanddebüt von Eugene Hutz, selbst in die USA emigrierter Ukrainer und Kopf der Gypsy-Punk-Rockband Gogol Bordello – spielen die wunderschönen Landschaftsaufnahmen, die sehr eigenwillige Kameraführung und die überraschende Schnitttechnik eine bedeutende Rolle. Untermalt wird all das von einem hervorragenden Soundtrack. Eugene Hutz hat mit seiner Band gleich mehrer Stücke eigens für den Film eingespielt und sich auch um die Zusammenstellung des restlichen Soundtracks gekümmert. Wunderbar passt die rasante Zigeunermusik mit ihren Tempowechseln zu den Landschaftsaufnahmen und der sich langsam anbahnenden Beziehung der vier Reisenden zueinander. Rasante Schnitte einzelner Szenen folgen auf langsame Passagen, in denen die Kamera einfach nur drauf hält, dem Minenspiel der Protagonisten folgt, dem sich im Wind neigenden Kornfeldern und immer wieder dem Schuhwerk der Darsteller.

Mit Alles ist erleuchtet ist Liev Schreiber ein umwerfendes, poetisches Roadmovie gelungen: Mal melancholisch, mal bittersüß und zynisch, dann wieder anrührend traurig und sogleich wieder brüllend komisch wird schamlos mit Klischees und Vorurteilen gespielt. Immer wieder prallen die vollkommen unterschiedlichen Welten, Ideale und die Vorstellungen, die alle voneinander haben, aufeinander. Der eigentliche Zauber liegt dabei in dem im Verborgenen liegenden Geheimnis, in dem Unausgesprochenen, dem alle Beteiligten und auch der Zuschauer immer wieder ganz nah kommen, um sich im nächsten Moment wieder weit davon zu entfernen. Ein Film, der es versteht seine Zuschauer zu überraschen – von der ersten bis zur letzten Einstellung und den man möglichst im Original sehen sollte. Nur im Original kommt die Komik der Dialoge und der ab und an aberwitzigen Übersetzungen vom Ukrainischen ins Englische so richtig zur Geltung.

Alles ist erleuchtet

Wer ist Augustine? Dieser Frage geht Jonathan auf die Spur. Weder romantische Ambitionen noch kriminalistischer Spürsinn treiben ihn an. Einzig das Bedürfnis, Licht zu bringen in die dunkle Vergangenheit seines Großvaters, ist sein Motor.
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Meinungen

Andreas Ruppert · 14.01.2020

Bitte gelegentlich den Namen des Autors richtig schreiben!

· 09.11.2006

den film unbedingt in englisch ansehen...das lohnt sich!! der roman zum film ist sogar universitätsliteratur im fachbereich anglistik - literary studies!!! ein muss!
ps. soundtrack auch sehr zu empfehlen!!

auch Alex · 04.10.2006

groooße gefühle!
schade, dass der film in Tschechien gedreht wurde. Ich hatte schon Lust bekommen in die Ukraine zu reisen.

cmacma · 07.08.2006

Der beste Film, den ich überhaupt gesehen habe. Schöne Bilder, kein typisch amerikanischer Humor, keine kitschigen Tragödieszenen. Natürlich, realistisch, nicht übertrieben. Tolle Musik.

· 20.05.2006

Jonathan safrans familienname ist foer, nicht froer. es ist schade, wenn in einer sonst so differenzierten Kritik ein solches Versehen vorkommt.

· 23.04.2006

Ein ungewöhnlicher Film mit ersnsten Untertönen wie z.B. dem Antisemitismus, der den Zuschauer jedes Mal überrascht. Schön fotografiert und untermalt von stimmungsvoller Musik.
"Everything Is Illuminated" ist ein Film, den man sich unbedingt ansehen sollte!

· 17.01.2006

Muss man unbedingt sehen den Film und am besten gleich danach den Soundtrack kaufen.

· 28.11.2005

ich find das das ein guter film ist (oder hoff es zumindest...^^) weil die geschichte an sich schon genial ist (hab des buch gelesen)

also ich geh auf jeden fall ins kino fals es rauskommt.