A Man Can Make a Difference

Eine Filmkritik von Stephan Langer

"Somebody's gotta do it"

Das ist Benjamin Ferencz: Nachdem er einige Meter neben der Kamera hergejoggt ist, sagt er, dass er 25 Pfund stemme, 25-mal, mit einer Hand. Während er spricht, hält er seine alt gewordene Hand in die Kamera und ahmt mit geballter Faust die Bewegung nach, wie wenn er das Gewicht gerade stemmen würde. Dabei lächelt er verschmitzt, bevor er sich von der Kamera wegdreht. Ferencz ist 95 Jahre alt, Jurist und das Epizentrum von A Man Can Make a Difference, dem aktuellen Dokfilm von Ullabritt Horn. Er redet leidenschaftlich und ohne Unterlass, ohne dabei allerdings Langweiliges von sich zu geben, wie ein Automat, den man noch nicht einmal anschalten muss. Er hat glücklicherweise viel Substantielles zu sagen. Der Unterschied zwischen ihm und vielen anderen Vielrednern ist jedoch, dass er über sein Reden hinaus zusätzlich auch handelt. Das fordert er auch von anderen ein, vor allem von Menschen in politischen Machtpositionen.
Benjamin Ferencz war 1945 bis 1949 Chefankläger beim sogenannten „Einsatzgruppenprozess“, einem der zwölf Nachfolgeverfahren der Nürnberger Prozesse nach dem Zweiten Weltkrieg gegen Industrielle, Ärzte, Juristen und hochrangige Militärs, die den Mechanismus des Massenmordens täglich und praktisch in Gang hielten. Als 27-jähriger US-Soldat und Juraabsolvent kam Ferencz nach Deutschland, um zunächst in einer Flak-Einheit zu dienen. Aufgrund seines juristischen Talents kommandierte man ihn dann dazu ab, Beweismaterial der begangenen Kriegsverbrechen zu sichten und zu sichern. Dabei stieß er auf detaillierte Akten und Protokolle von wiederholtem Massenmord und begann daraufhin, für die Gerechtigkeit der Opfer zu kämpfen. „That was cold blooded mass murder, and I can prove it!“, sagt er fast 70 Jahre später immer noch mit unbeirrbarem Ton an einer Stelle von A Man Can Make a Difference. Spätestens da merkt jeder, dass dieser Mann immer noch auf einer Mission ist. Neben seiner langjährigen, juristischen Arbeit in Vergangenheit und Gegenwart, das wird in Anbetracht seines ikonengleichen Status als letzter lebender Chefankläger aus jener Zeit oft vergessen, ist Ferencz natürlich ein Mensch. Diese private, empathische Seite interessiert Horn vor allem in der ersten Hälfte des Films. Dort widmet sie sich seiner Jugend, zeigt Gespräche mit ihm, in denen er erzählt, wie seine Eltern, ungarische Juden, nach New York emigrierten, wo er in ärmlichen Verhältnissen aufwuchs, dann mit Hilfe eines Stipendiums studieren konnte und sein Jura-Examen in Harvard mit Auszeichnung bestand.

Nach dem biographischen Abriss taucht bei der Schilderung des Prozessalltags immer wieder der Name Otto Ohlendorf auf, der Ferencz‘ Weg kreuzt und der ihn offensichtlich und nachhaltig beschäftigt. Seinerseits SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei, war Ohlendorf einer der Hauptzeugen der Anklage. Er irritierte die Öffentlichkeit durch seine völlig emotionslos vorgetragenen, detaillierten Beschreibungen der Massentötungen seiner Einsatzgruppe. Hermann Göring warf ihm vor, mit seinen wahrheitsgemäßen Schilderungen sich und die anderen Täter unnötig zu belasten. Ähnliche Verhaltensweisen von prahlender Ehrlichkeit gab es auch anderweitig, wenn Nazis zum Teil die ihnen vorgeworfenen Opferzahlen nach oben korrigierten. Bei solchen Phänomenen spricht Klaus Theweleit in seinem aktuellen Buch Das Lachen der Täter von einem „leeren Platz“. Dieser leere Platz ist in allen eliminatorischen Programmen enthalten. Wenn auf unseren Fall bezogen alle Juden aus der Welt geschafft wären, gäbe es freie Sicht und ein freies Leben. Nichts mehr da, das die Täter bedrohen könnte. Der leere Platz ist die Lieblingshalluzination aller Täter. Sie benötigen ihn für das eigene Gleichgewicht. Leere Plätze sind Bestandteil vieler Kriege.

Nicht nur aufgrund solcher Zusammenhänge betont Ferencz in A Man Can Make a Difference immer wieder: „You can’t kill legally if war itself is illegal“. Auf diesem Diktum fußt sein gesamtes, lebenslanges Streben, bis heute. Es ging ihm nie allein um eine Gerechtigkeit im Nachkriegsdeutschland, sondern er hat sich zeitlebens auf die Fahnen geschrieben, Kriege im Allgemeinen radikal zu kritisieren und darin agierende Kriegsverbrecher juristisch zu verfolgen und abzuurteilen, zu jeder Zeit und überall. Folgerichtig wird in der zweiten Hälfte des Films das Thema des Biopics erweitert und ein dramaturgischer Bogen gespannt, von Nachkriegsdeutschland über die Völkermorde in Ruanda und Bosnien bis hin zur Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs von Den Haag (ICC). Nach den Nürnberger Prozessen als erstem internationalen Kriegsverbrechertribunal überhaupt fordert Ferencz in der Folge so stetig und ausdauernd einen unabhängigen Ort, an dem Genozide und deren Akteure juristisch verfolgt werden, bis es unter seinem maßgeblichen Anteil zur Gründung des ICCs im Jahre 2002 kam. Vor diesem Hintergrund kommt auch Fatou Bom Bensouda zu Wort, seit 2012 Chefanklägerin beim ICC, die ihren Stolz betont, in der Tradition von Ferencz als Verteidigerin von Kriegsopfern zu arbeiten.

A Man Can Make a Difference akzentuiert durch diese Chronologie internationaler Verbrechen zwei Dinge: erstens, dass es vorwiegend Menschen wie Ferencz und deren bedingungslosem Einsatz zu verdanken ist, dass ein Ort wie Den Haag existiert, nicht etwa politischen Machtkonstellationen. Weiterhin wird unter dem Stichwort „presumed self defense“ von Ferencz konstatiert, die USA verhalte sich gegenwärtig im Irak, in Afghanistan und in Guantanamo nach ähnlichen Verhaltensmustern, die andere Kriege ausgezeichnet haben, auszeichnen und immer auszeichnen werden – Muster nämlich, die einzig auf Verdachtsmomenten beruhen, die auf Wirtschaftsinteressen und Ressentiments gestützt sind. Niemals sollten Menschen vergessen, so Ferencz, dass Krieg das größte Verbrechen gegen die Menschheit überhaupt ist. Und niemals wird er seine Hoffnung und seinen Kampf aufgeben, sei sein Blick in die Zukunft auch noch so düster.

A Man Can Make a Difference

Das ist Benjamin Ferencz: Nachdem er einige Meter neben der Kamera hergejoggt ist, sagt er, dass er 25 Pfund stemme, 25-mal, mit einer Hand. Während er spricht, hält er seine alt gewordene Hand in die Kamera und ahmt mit geballter Faust die Bewegung nach, wie wenn er das Gewicht gerade stemmen würde. Dabei lächelt er verschmitzt, bevor er sich von der Kamera wegdreht. Ferencz ist 95 Jahre alt, Jurist und das Epizentrum von „A Man Can Make a Difference“, dem aktuellen Dokfilm von Ullabritt Horn.
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Meinungen

Hans-Peter Biege · 30.11.2015

Ein absolut begeisterndes Portrait eines ungewöhnlichen Mannes. Sehr sensibel ins Bild gesetzt. Der alte Mann spricht druckreife Sätze, die in der Tat einen Unterschied machen zu dem ganzen Trash, den wir uns täglich anhören müssen. Sein Anliegen: ein Dauerbrenner. Seine Leistung: übertrifft jeden Marathonläufer. Die Geschichte: fordert unseren Verstand heraus. Die Erzählweise: trifft mitten ins Herz.
Unbedingt anschauen! Habe schon viele hingeschickt, die mir hinterher gedankt haben!