37 Uses for a Dead Sheep

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die fröhliche Wissenschaft

Vom einstmals stolzen Volksstamm der Pamir-Kirgisen, einem Nomadenvolk aus Zentralasien, leben heute lediglich noch 2.000 Menschen im türkischen Exil, nachdem das 20. Jahrhundert für sie vor allem eine Zeit der Vertreibung war. Ursprünglich in der Pamir-Region im Dreieick zwischen China, Tadschikistan und Afghanistan angesiedelt, wurde die Region durch die Festlegungen der beiden Weltmächte Russisches Zarenreich und Britisches Empire in drei Teile aufgespalten; das Nomadenvolk siedelte überwiegend im russischen Teil Pamirs an. Doch mit der Russischen Revolution begannen die Schwierigkeiten, denn die Pamir-Kirgisen wehrten sich gegen die Eingliederung ins Sowjetreich, ein bewaffneter Kampf, der mehrere Jahrzehnte andauerte, bis sich das Volk schließlich in den chinesischen Teil Pamir zurückzog. Doch auch hier finden sie keine dauerhafte Bleibe, bereits kurz nach der Machtübernahme Maos fliehen die Pamir-Kirgisen schließlich in den afghanischen Teil ihrer Region, eine der unwirtlichsten Gegenden der Welt. Hier lebten sie unter extremen Bedingungen ca. 30 Jahre, bis sich auch in Afghanistan pro-russische Kräfte durchsetzten und die Macht im land übernahmen. Abermals flohen die Kirgisen, dieses Mal nach Pakistan, wo sie einige Jahre in Flüchtlingslagern hausen mussten, bis sich schließlich die Türkei 1982 dazu bereit erklärte, dem Volksstamm Schutz und Aufnahme zu gewähren. Seit diesem Zeitpunkt leben die Kirgisen in der Osttürkei – das glückliche Ende einer Odyssee.
Das erfahrene Leid der ständigen Vertreibung und der Verlust der Heimat wären wahrlich Grund genug, einen anklagenden und bitteren Film über die Pamir-Kirgisen zu drehen, doch die Dokumentation des britischen Filmemachers Ben Hopkins ist wohltuend anders geraten – spielerisch, heiter und vor allem unter lebhafter Beteiligung der Porträtierten selbst, die in seinem Film 37 Uses for a Dead Sheep eine tragende Rolle spielen – sie sind nicht nur Gegenstand der Beobachtung und Erforschung, sondern auch Interviewpartner, Darsteller und Mitglieder des Filmteams.

Inhaltlich wie auch formal gliedert sich der Film in drei Bereiche: Da sind zum einen die Interviews, getragen von einer großen Heiterkeit, in denen beispielsweise ein alter Mann die Titel gebenden Verwendungszwecke für ein totes Schaf aufzählt. Daneben stehen die Spielszenen, in denen Ben Hopkins und die Pamir-Kirgisen mit viel Freude an der Verkleidung und am großen augenzwinkernden Pathos Eckpfeiler der Geschichte des Volkes wieder auferstehen lassen. Und schließlich besteht der Film noch aus fein beobachteten Sequenzen der Gegenwart des Volkes, das vor allem unter der Abwanderung der jungen Leute in die Städte leidet. Dies alles ist mit jeweils anderem Filmmaterial gedreht (Digital, 16-Millimeter und Super-8) und ergibt einen ebenso heiteren wie traurigen, unterhaltsamen wie ernsthaften Dokumentarfilm, die sich wenig um Konventionen des Dokumentarfilms schert und mit diesem Mut gewinnt. Besonders bemerkenswert ist, dass Hopkins neben den verschiedenen Facetten der kirgisischen Geschichte und Kultur sogar noch Zeit findet, den eigenen Prozess des Filmemachens vorzuführen und zu ironisieren, ohne dabei das eigentliche Thema des Films aus den Augen zu verlieren.

Wer bislang eher Berührungsängste mit vermeintlich schweren Dokumentarfilmen hatte, sollte diesem kleinen, aber sehr feinen Film unbedingt eine Chance geben, denn 37 Uses for a Dead Sheep zeigt nicht nur, wozu der Dokumentarfilm in der Lage sein kann, sondern er bringt auch das Lachen und die Selbstironie zurück ins Kino. Wunderbar!

37 Uses for a Dead Sheep

Vom einstmals stolzen Volksstamm der Pamir-Kirgisen, einem Nomadenvolk aus Zentralasien, leben heute lediglich noch 2.000 Menschen im türkischen Exil, nachdem das 20. Jahrhundert für sie vor allem eine Zeit der Vertreibung war.
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