1001 Nacht - Teil 2: Der Verzweifelte

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Schuld und Kastration

Neben einigen nur angeschnittenen und dennoch ständig präsenten Nebenschauplätzen werden im zweiten und bedächtigsten Teil der 1001-Nacht-Trilogie von Miguel Gomes drei Geschichten erzählt. Die erste betrifft einen eigenwilligen Gesetzlosen und Mörder, der sich gleich einer Westerngeschichte oder diverser amerikanischer Mythen im Gebirge versteckt, bis er zu einer Art Volkshelden aufsteigt, weil er die unbeliebten Gesetzeshüter an der Nase herumführt. Gomes beobachtet den Mann ständig begleitet von schreienden Grillen und wehendem Gras, sodass sich eine Art hypnotische Romantik über den Flüchtenden ausbreitet. Die zweite Geschichte behandelt eine absurde, in unwirkliches Licht gehüllte Gerichtsverhandlung, in der sich eine endlose Verkettung von Schuld und moralischer Ohnmacht hin zu einer kompletten Sinnlosigkeit der Verhandlung zuspitzt. Und schließlich gibt es die Geschichte eines streunenden, womöglich magischen Hundes, der in einem von Rauch durchzogenen Wohnblock ankommt und dort die traurigen Schicksale einiger Bewohner miterlebt. Der Titel des zweiten Teils der Arabian Nights ist: Der Verzweifelte. Tatsächlich greift Verzweiflung mehr und mehr um sich und äußert sich in ruhigen, drückenden Bildern, melancholischen Pop-Balladen, tragischen Geschichten und dem beständigen Gefühl einer Hoffnungslosigkeit, der sich die Figuren entziehen wollen, aber nicht können.
Doch noch mehr als vom Thema der Verzweiflung wird der zweite Teil von einem Humanismus der tragischen Verkettungen geprägt, den man derart eindrücklich zum Beispiel von früheren Werken der Gebrüder Dardenne oder aus der Hochzeit des italienischen Neorealismus kennt. In Verbrechen werden Menschen aufgrund von Umständen getrieben. So handelt jede Geschichte von Abhängigkeiten und Schwächen, die sich gegenseitig bedingen und in moralische Verbrechen oder Selbstaufgabe führen, die bei genauerer Betrachtung allerdings schwer moralisch zu verurteilen sind. Eine Frau klaut zum Beispiel die Möbel ihres Vermieters, weil sie überleben muss. Alle Taten geschehen aus Verzweiflung. Man denkt dabei nicht zuletzt an Vittorio De Sicas Fahrraddiebe, obwohl bei Gomes neben der Tragik immer auch eine trotzige, fast parodistische Komik mitschwingt. Diese verweist immer auf Schattenmänner und Symptome der Globalisierung als Hintergründe. Vor allem in den Dialogen zwinkert Gomes dem Zuseher dabei ein wenig öfter zu, als es dem Film guttut. Er bleibt ein Meta-Künstler im Guten wie im Schlechten.

Am deutlichsten zeigt sich dies in der zweiten Geschichte, der Gerichtsverhandlung. Nachdem die Richterin vor Beginn der Verhandlung mit ihrer Tochter telefoniert, die gerade ihre Unschuld verloren hat, wird der abstrakte Grad dieser an das Kino von Manoel de Oliveira erinnernden Verhandlung (im Publikum sitzen nur Täter, Zeugen und weitere Opfer, wobei alle gleichzeitig alle drei Rollen spielen, Chinesinnen, Taubstumme, Geister, sprechende Tiere und so weiter) schnell klar. Einen Täter, der kein Opfer ist, wird es nicht geben. Nicht in dieser undurchschaubaren Welt, in der Gomes letztlich sein gesamtes narratives und formales Vorgehen im Film rechtfertigt und spiegelt. Es geht um Undurchdringbarkeit, Unübersichtlichkeit und die Unmöglichkeit, Lösungen zu finden. Die Ungerechtigkeit, die einen dabei wie eine Keule treffen könnte, wird beständig abgemildert durch eine Verspieltheit, die sich berechtigterweise nicht auf den Tränen von De Sica ausruhen will. Die Folge ist, dass die Verzweiflung im Film eher wütend und gleichgültig als traurig ist. Dennoch wirkt dieses Kino an vielen Stellen wie die Parodie anderer Filme. Als würde Gomes etwas kopieren, um es dann zu brechen. Die Folge ist, wie so oft beim Portugiesen, dass sein konzeptuelles Vorgehen großartig ist und lange Zeit Laune macht, seine tatsächlichen Geschichten sich aber verweigern, auf intellektueller oder emotionaler Ebene einzuschlagen.

Der Verzweifelte ist auch insofern ein Film über Abhängigkeiten, als er der Liebesfilm der drei Teile ist. Nicht nur die Verbrechen geschehen aus Abhängigkeiten, sondern auch die Liebe geschieht deshalb. Das Wort „Geschehen“ scheint allgemein gut auf die 1001-Nacht-Filme zu passen, weil in ihm das Ereignis und seine Zeitlichkeit enthalten sind. Die Liebe geschieht also zwischen Abhängigen. So trifft man in der letzten Geschichte auf ein Liebespaar, das sich kennenlernte, als sie Dealerin war und er ein Abhängiger. Auch in der ersten Geschichte kehrt der Gesetzlose, der seine Liebe erschossen hat, an einen Ort der Liebe zurück. Vielleicht war sein Ausbruch auch eine Flucht vor Abhängigkeiten. In der zweiten Geschichte gibt es die Schuldfrage einer Vergewaltigung, die von der betroffenen Frau aufgelöst wird, als sie sich gegen die Kastration des Täters erhebt, da dieser sie womöglich aus Liebe besitzen wollte. Die Verbrechen und die Liebe hängen im Film an Abhängigkeiten, und letztlich hängen die Verbrechen an der Liebe beziehungsweise die Liebe am Verbrechen.

Im Hochhauskomplex zum Ende des zweiten Teils findet Gomes die perfekte Räumlichkeit, die diese Verkettungen und Undurchschaubarkeit spiegelt. Denn an diesem Ort sind nicht nur die Geschichten, die nach wie vor von Scheherazade erzählt werden, obwohl wir sie im zweiten Teil nicht zu sehen bekommen, assoziativ, willkürlich und moralisch verbunden, sondern auch die Räume. So beobachten einige Jungs die Nachbarn beim Sex durch ein kleines Loch, der Rauch grillender Bewohner durchdringt das ganze Gebäude (ein Genuss ist der Einsatz von Rauch in diesem Film) und der Hund wandelt zwischen Türen und Stockwerken. Wie also die Geschichte eines solchen Wohnblocks erzählen? Es scheint dieselbe Frage zu sein wie: Wie die Geschichte des zeitgenössischen Portugals erzählen? Gomes liefert weitere Antworten, auch wenn sie verzweifelt sind.

1001 Nacht - Teil 2: Der Verzweifelte

Neben einigen nur angeschnittenen und dennoch ständig präsenten Nebenschauplätzen werden im zweiten und bedächtigsten Teil der „1001-Nacht“-Trilogie von Miguel Gomes drei Geschichten erzählt. Die erste betrifft einen eigenwilligen Gesetzlosen und Mörder, der sich gleich einer Westerngeschichte oder diverser amerikanischer Mythen im Gebirge versteckt, bis er zu einer Art Volkshelden aufsteigt, weil er die unbeliebten Gesetzeshüter an der Nase herumführt.
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